Lanze und Rose
auszulassen; und wenn er es selbst ist.«
Mein Sohn schwieg einen Moment und sah in die Ferne. Was sollte ich ihm erzählen? Die Wahrheit? Auf keinen Fall. Doch dann sagte ich mir, dass er es ohnehin erfahren würde. Die Leute redeten immer. Da war es schon besser, wenn er es aus meinem Munde hörte.
»Aber du hast schon recht… Da ist noch etwas anderes, das deinen Vater umtreibt, Duncan. Er … Er hatte beschlossen, seinen Schmerz mit jemand anderem als mir zu teilen.«
Verständnislos runzelte er die Stirn.
»Was denn, mit John?«
»Nein, nicht mit John. Wenn es wenigstens so gewesen wäre…«
»Ich verstehe nicht, Mutter. Alle seine Freunde waren in Perth.«
»Ich war mit Frances nach Dalness geritten; ich wollte ihr helfen, sich in ihrem Haus einzurichten. Dein Vater zog es vor, in Carnoch zu bleiben. Als ich zurückkehrte, habe… habe ich ihn mit… Margaret Macdonald angetroffen.«
Langsam begriff er und verzog entsetzt den Mund.
»Ich wage gar nicht auszusprechen, was ich denke…«, hauchte er.
»Dann sag einfach nichts.«
»Aber Mutter, bist du dir ganz sicher? Wäre es nicht möglich, dass du etwas ganz falsch gedeutet hast?«
»Ob ich mir sicher bin? Sicherer kann man nicht sein, Duncan. Ich habe die beiden zusammen erwischt… in unserem Bett.«
Ich hatte das Gefühl, einen Kloß in der Kehle sitzen zu haben. Kurz schloss ich die Augen und biss die Zähne zusammen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, all die schlimmen Erinnerungen wieder aufzurühren. Duncan war vollkommen vor den Kopf geschlagen; mit undeutbarem Blick maß er seinen Vater, der zusammen mit den Mcdonnell-Brüdern immer noch bei der Arbeit war.
»Mutter … Vater und … Ich kann es einfach nicht glauben. Warum hat er das nur getan?«
»Warum? Diese Frage habe ich mir so oft gestellt… Weißt du, es gibt Ereignisse, die Ehepaare fester zusammenschmieden, und andere, durch die sie sich voneinander entfremden. Ranald zu verlieren, hat mir solchen Schmerz bereitet… Darüber habe ich deinen Vater vergessen, und er hat sich jemand anderem zugewandt.«
»Aber er hat mit ihr gelegen!«, empörte er sich.
»Verurteile ihn nicht, Duncan.«
»Aber, Mutter … »
Mit unbewegter Miene sah er noch einmal in Liams Richtung. Was mochte er jetzt von ihm halten? Oder von mir?
»Und ihr seid immer noch zusammen?«
»Ich liebe ihn«, erklärte ich und legte Duncan die Hand auf den Arm. »Gewiss, er hat einen Fehler gemacht. Aber ich kann nicht ohne ihn leben. Als er krank war, stand er an der Schwelle des Todes. Da habe ich begriffen und ihm vergeben. Aber deswegen vergisst man noch nicht, verstehst du? Wir alle machen Fehler, Duncan. Auch ich habe welche gemacht… Und dir wird es nicht anders ergehen, du wirst schon sehen. Wir sind eben alle nur Menschen und deswegen schwach…«
Etwas strich über meinen Nacken, und ich fuhr zusammen. Liam beugte sich über mich und streichelte mir mit einem Finger über die Wange.
»Kommst du schlafen?«, flüsterte er mir ins Ohr.
Duncan sah ihn lange und kalt an. Nein, Duncan, zürne ihm nicht, das ist meine Sache, nicht die deine. Er fing meinen Blick auf, lächelte gezwungen und erhob sich.
»Ich glaube, ich sollte nach meiner Frau sehen… Gute Nacht.«
Nachdenklich schaute Liam ihm nach und kauerte sich dann hinter mich, um mich zu umarmen.
»Worüber habt ihr gesprochen?«, fragte er mich argwöhnisch. »Er wirkte bestürzt. Hat er Probleme mit Marion?«
»Hmmm… Dein Sohn ist kein Kind mehr, Liam. Er macht sich inzwischen allerhand Gedanken über das Leben.«
»Ja, wahrscheinlich. Komm, gehen wir.«
Die Sonne ging auf und übergoss den Schnee mit Pastellfarben. Das Licht streichelte ihn zärtlich, ließ den Quarz, der in dem Granit des Bodens eingeschlossen war, aufleuchten und wurde von den Bäumen darüber zurückgeworfen. Tiefe Stille herrschte, ein Balsam für die Seele.
Duncan hatte nicht viel geschlafen. Das Geständnis seiner Mutter hatte ihn stärker aufgewühlt, als er gedacht hätte. Sein Vater sollte ihr untreu sein? Wie war das möglich? Für ein Kind gibt es drei Arten von Menschen: die Erwachsenen, die anderen Kinder und die eigenen Eltern. Letztere macht es sich zu eigen, verehrt sie und hält sie für anders als die anderen Erwachsenen. Die Küsse, die es mit ansieht, haben für ein Kind nichts mit Erotik zu tun. Es kann sich nur schwer, wenn überhaupt, vorstellen wie seine Eltern miteinander liegen. Aber Duncan war kein Kind mehr. Er war
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