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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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Verbindung zum Leben auf. Obwohl meine verletzte Hand schmerzte, hätte ich eine Ewigkeit so dastehen können.

Wir weinen,
weil wir die Erinnerung an alle Tränen bewahren,
die jemals über den Tod vergossen wurden.
    Jules Renard

33
So sei es August 1716
    Die salzhaltige Brise wirbelte die Falten eines Kilts auf, der in lebhaften Farben gehalten war, und fuhr in einen von Silber durchzogenen, kupferfarbenen Haarschopf, der in der heißen Augustsonne schimmerte. Tief sog ich die Luft, die nach Seetang und frisch ausgehobener Erde roch, in die Lungen und stieß sie dann langsam wieder aus. Ich wandte den Blick ab und verfolgte den Tanz einer Vielzahl funkelnder Reflexe, die eine Brosche, die auf einem grauen, behauenen Stein lag, hervorrief.
    Die drückende Stille, die von Worten, die wir nicht auszusprechen wagten, erfüllt war, wurde plötzlich von einem dumpfen Donnergrollen erschüttert. Ich betrachtete Liams Profil. Er beugte sich über Colins Grab, dessen sterbliche Überreste wir auf Eilean Munde beigesetzt hatten.
    »Garbh fois an sith, mo bhrathair «, murmelte er, eine Hand auf das in den Granit geschlagene Kreuz gelegt. Ruhe in Frieden, mein Bruder.
    Liam war während des letzten Jahres gealtert. Zwar hatte er seine kräftige Gestalt zurückgewonnen, doch sein Haar war stark von Grau durchsetzt, und in sein Gesicht hatten sich Linien eingegraben, die von dieser aufwühlenden Periode in seinem Leben kündeten. Langsam, so als laste das ganze Gewicht der Welt auf seinen Schultern, richtete er sich auf und öffnete und schloss in stummer Wut die großen Pranken.
    Die schrillen Schreie eines Schwarms Wildgänse, die so dicht über dem Loch Leven dahinzogen, dass ihre Flügelspitzen das schwarze Wasser berührten, drangen zu uns und rissen ihn aus
seinem Schmerz. Er sah den Vögeln nach und richtete dann den Blick auf das Felsmassiv, das über uns aufragte. Dort flatterten Haarsträhnen, in denen sich Feuerrot und Nachtschwarz mischten, sanft um glückliche Gesichter. Marion saß zwischen Duncans gespreizten Beinen und lehnte sich an seinem Brustkorb an. Sie hielt die Augen geschlossen, und Duncan flüsterte ihr etwas ins Ohr und legte die Hände auf ihren inzwischen sichtlich gerundeten schwangeren Leib. Lange, mit nicht zu deutender Miene, betrachtete Liam die beiden. Dann entspannten sich seine zusammengepressten Lippen zu einem Lächeln, das sich über sein müdes Gesicht breitete.
    Ich strich mir eine widerspenstige Haarsträhne, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte und heftig vor meinen Augen tanzte, hinters Ohr zurück. Liam wandte sich zu mir um und sah mich aus Augen an, die so dunkelblau wie die schottischen Lochs waren, mit diesem Blick, mit dem er mich schon bei unserer ersten Begegnung erobert hatte.
    Aufrecht und stolz stand er da, durch und durch ein Krieger, in dessen Adern das Blut unserer gälischen Vorfahren floss. Ein Mann wie aus dem Granit seines heimatlichen Berglandes gehauen, in dem er geboren war und für das er so tapfer gekämpft hatte. Mit einem Mal fielen mir die Worte ein, mit denen der kleine Isaak MacEanruigs eines Nachmittags im November die Einstellung seines Vaters wiedergegeben hatte: Wir sind vor allem Schotten. Ein bisschen sind wir auch britische Untertanen, aber wir werden niemals Engländer sein . So hätte man die Devise der Highlander umschreiben können. Die Engländer hatten die Rebellion von 1715 erstickt, aber sie würden nie in der Lage sein, das Feuer zu löschen, das wie das Flammende Kreuz in den Herzen der Besiegten weiterbrannte.
    Offenbar fühlte Liam sich angeregt durch das reizende Bild, das Duncan und Marion abgaben, denn er trat hinter mich, legte die Arme um meine Taille und zog mich an seine Brust. Ich legte den Kopf an seine Schulter und seufzte zufrieden. Sein moschusartiger Geruch umfing mich, kraftvoll und durchdringend. Ein Duft nach Mann, der sich mit dem nach Seife und dem Heidekraut mischte, das ich gern zwischen seine sauberen Hemden
legte. Sein Atem liebkoste meine Schläfe, heizte das Blut auf, das gleich unter meiner Haut pochte, und wärmte mir das Herz.
    Ein Gewitter zog auf. Die Luft war heiß und feucht, doch das Gras unter unseren nackten Füßen fühlte sich kühl an. Der Wind murmelte zwischen den Grabsteinen, die uns umgaben, ein Requiem und brachte in den Ruinen der kleinen Kapelle seufzend seinen Schmerz zu Gehör. Das Bauwerk war von Fillian Munde errichtet worden, einem der Jünger des Heiligen Columba, der vor tausend

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