Lanze und Rose
kann mich nicht entschließen, Euch gehen zu lassen … ohne Euch etwas von dem Schmerz schmecken zu lassen, der mir seit frühester Kindheit die Seele zerrissen hat. Ich habe … so sehr auf meine Rache gewartet. Das hat mich erstickt, geblendet… Caitlin, Ihr seid mir einen Tribut schuldig …«
Das helle Licht des Mondes, der jetzt über uns stand, fiel durch die Zweige und verlieh seiner blassen Haut ein unheimliches Aussehen. Seine Wangen waren tränenüberströmt. Stephen, was haben sie nur aus dir gemacht, mein Sohn? Sie haben dich mit Hass genährt. Seine Finger glitten bis zu meiner Wange hinauf und streichelten sie flüchtig. Dann legten sie sich um meinen Hals und drückten leicht zu, zum Zeichen, was er vorhatte. Doch der Druck ließ nach, und ich konnte wieder tief durchatmen. Dann gab er mit einem Mal meinen Hals frei, packte meinen Arm, hob ihn hoch über meinen Kopf und presste ihn brutal gegen den Baum. Ich spürte, wie die raue Rinde in meinen Handrücken stach, den er festhielt. Einige Augenblicke vergingen.
»Mama…«
Am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen, hätte ihn an mich gedrückt, ihm gesagt, er solle aufhören und weglaufen. Dass ich ihn liebte … Sein keuchender Atem hallte mir in den Ohren, und sein Schweißgestank und der andere, weniger beißende Geruch seines Blutes stiegen mir in die Nase. Vor Entsetzen erstarrt erwartete ich meine Strafe. Ich betete zu Gott, hoffte auf Liam, flehte um Barmherzigkeit. Doch nichts geschah. Versuch nicht, Gottes Plan zu verstehen … Aber das war furchtbar schwer angesichts dessen, was mir bevorstand.
Dann kreischte ich vor Schmerz auf. Ich schrie, bis mir fast der Kopf platzte. Neben mir hörte ich, wie Stephen den Namen seines Vaters murmelte, den meinen schmähte und Gott lästerte.
Und dann nichts mehr. Er war fort. Und ich stand da, mit dem Dolch, den er mir durch die Handfläche gestoßen hatte, an den Baum geheftet. Von unerträglicher Pein gequält, hielt ich mich mit der anderen Hand an einem Ast fest, damit die Klinge mir das Fleisch nicht noch weiter aufriss, wenn ich mich bewegte.
Ich klammerte mich daran und grub die Finger in die Rinde, die meine ertaubten Fingerspitzen aufriss. Der entsetzliche Schmerz entlockte mir Schreie, die mir die Brust zerrissen und in der Lunge und der Kehle brannten. Einen Moment lang glaubte ich das Echo meines eigenen Geschreis zu hören, doch dann vernahm ich die Schreie deutlicher. Das waren Stimmen, die nach mir riefen.
Eine Hand ergriff mich, drückte mich gegen den Baumstamm und hob mich ein Stück hoch. Ich stieß einen letzten Schrei aus, als ich spürte, wie die Klinge aus meiner Handfläche gerissen wurde. Meine Hand fiel schlaff auf die Schulter meines Retters nieder. Gestalten umkreisten mich, und die Bäume schienen sich mit ihnen zu drehen. Schwach drangen Stimmen zu mir … bis Liams Ruf die Mauer meiner Benommenheit durchdrang. Ich schlug die Augen auf und begegnete dem Blick meines buchstäblich aus dem Nichts aufgetauchten Retters.
»Caitlin… a ghràidh …«
Seine Stimme klang tränenerstickt, und sein Blick sagte, dass er mit mir litt. Meine Gebete waren doch nicht unerhört verhallt…
»Bringt mir diesen Bastard!«, brüllte er den Männern zu. »Am besten tot.«
Die Rufe der Jäger zerstreuten sich. Ihre Beute würde nicht weit kommen; sie war verletzt. Ich geriet in Panik und kreischte, um sie davon abzuhalten, ihn niederzumachen. Er war mein Sohn, lieber Gott!
»Nein, Liam… Ihr dürft ihn nicht töten!«
Aber die Männer hörten mich nicht; sie waren im Dunkel verschwunden. Ich schrie meinen Schmerz heraus, doch ich brachte es nicht fertig, irgendwelche Erklärungen abzugeben. Liam reagierte gereizt, er begriff nicht, warum ich so außer mir war. Er zog mich fest in die Arme.
»Er wird dir kein Leid mehr antun, a ghràidh . Ich verspreche es dir. Wenn die Männer ihn mir lebend bringen, werde ich ihn mit eigenen Händen umbringen. Es ist vorbei…«
»Nein!«, rief ich und schlug wild auf ihn ein, »ihr dürft ihn nicht töten…«
Der Schmerz in meiner Hand ließ mich innehalten. Ich schrie wie eine verdammte Seele. Liam geriet in Panik und ohrfeigte mich. Aber es war zu spät. Schon kehrten die Männer zurück. Sie trugen einen Körper, den sie ohne besondere Rücksichtnahme ins Laub fallen ließen. Stephen, mein Sohn, lag leblos da. Ich riss mich von Liam los und stieß die Männer zurück, die sich schon anschickten, seine Taschen zu durchwühlen. Duncan
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