Lara Adrian- 07- Gezeichnete des Schicksals
gegenüber auf dem Fußboden, sogar im Ruhezustand eine wuchtige, bedrohliche
Erscheinung.
Das war kein Mensch.
Sie kämpfte noch mit dieser Erkenntnis und fragte
sich, ob das, was sie da sah, dem Scotch zuzuschreiben war, in dem sie sich
ertränkt hatte - Mitchs Lieblingsmarke und die Krücke, auf die sie sich jedes
Jahr um dieses Zeit stützte, um den grässlichen Jahrestag von seinem und Libbys
Tod zu überstehen.
Aber dieser riesige Eindringling, der in ihr Haus
eingebrochen war und sie nun gefangen hielt, war keine alkoholbedingte Halluzination.
Er war aus Fleisch und Blut, auch wenn sie solches Fleisch noch nie gesehen
hatte. Trotz der Minusgrade draußen war er unbekleidet aufgetaucht, und seine
Haut war von Kopf bis Fuß unbehaart und mit einem dichten Gewirr roter und
schwarzer Muster überzogen, viel zu umfangreich, um das Werk eines
Tattookünstlers zu sein. Und was immer er war: Er war stärker als jeder andere
Mann, der ihr in ihrer Zeit bei der Polizei über den Weg gelaufen war, und das,
obwohl er unbewaffnet war und ernsthafte Verletzungen hatte.
Jenna hatte jede Menge Schusswunden gesehen,
jedenfalls genügend, um zu erkennen, dass das großflächig aus seinem
Oberschenkel gerissene Gewebe und die kleinere Wunde seitlich am Bauch von
Gewehrschüssen stammten.
Seine anderen Verletzungen, die Brandblasen und
nässenden Wunden, die den Großteil seiner Haut bedeckten, waren weniger
sichtbar, vor allem in der Dunkelheit. Sie sahen aus wie durch irgendwelche
Strahlen verursachte Verbrennungen oder ein besonders schwerer Sonnenbrand -
die Art, wie man ihn nur bekommen konnte, wenn man sein Sonnenbad unter einer
Ganzkörperlupe nahm.
Jenna hatte nicht die leiseste Ahnung, woher er kam
und was er mit ihr vorhatte. Sie hatte geglaubt, dass er sie umbringen wollte,
nachdem er in ihr Haus eingebrochen war. Und das wäre ihr ehrlich gesagt egal
gewesen. Sie war sowieso schon halb auf dem Weg dazu gewesen. Sie hatte es
satt, ohne die Menschen leben zu müssen, die sie am meisten liebte. Satt, sich
so verdammt allein und nutzlos zu fühlen.
Doch der Eindringling - oder besser gesagt: die
Kreatur - war nicht in der Absicht hereingeplatzt, sie zu töten. Zumindest
nicht gleich, soweit sie sagen konnte.
Trotzdem, er hatte etwas vergleichbar Abscheuliches
getan.
Er hatte sie in den Hals gebissen, und zu ihrem
ungläubigen Entsetzen hatte er ihr Blut getrunken wie ein Ungeheuer.
Wie ein Vampir.
Unmöglich, das wusste sie. Ihre Logik wollte den
Gedanken zurückweisen, genau wie den Anblick, wenn sie jetzt durch den Raum auf
diesen fleischgewordenen Albtraum schaute.
Jenna schauderte bei der Erinnerung daran, wie sich
seine gewaltigen Fangzähne auf sie herabgesenkt und in die Seite ihres Halses
gebohrt hatten.
An mehr konnte sie sich zum Glück kaum erinnern.
Wahrscheinlich war sie ohnmächtig geworden, hatte aber den Verdacht, dass er
irgendetwas gemacht hatte, um ihr Bewusstsein auszuschalten. Ob sie durch den
Blutverlust geschwächt gewesen war oder er sie anderweitig außer Gefecht
gesetzt hatte, konnte sie nicht mit Gewissheit sagen.
Noch einmal versuchte sie, aus ihrer gekrümmten
Haltung auf dem Fußboden hochzukommen, erreichte damit aber nur, dass sie seine
Aufmerksamkeit erregte. Er hob den Kopf, und sein feuriger Laserblick schoss
quer durch den Raum und durchbohrte sie. Jenna starrte zurück. Sie würde sich
nicht vor ihm ducken, scheißegal, wer er war. Schließlich hatte sie nichts zu
verlieren.
Er betrachtete sie lange. Vielleicht wartete er
darauf, dass sie nachgab oder versuchte, sich aufzurappeln und in einem Anfall
sinnloser Wut auf ihn loszugehen.
Erst jetzt sah sie, dass er einen rechteckigen,
glänzenden Gegenstand in seinen riesigen Händen hielt. Einen Bilderrahmen. Sie
wusste, welcher es war, musste gar nicht erst auf die leere Stelle auf dem
Kaminsims über sich blicken, um zu erkennen, dass er ein Foto von ihr mit Mitch
und Libby in den Händen hielt. Ihr letztes gemeinsames, aufgenommen nur ein
paar Tage vor ihrem Tod.
Ihr Atem beschleunigte sich, als eine erschöpfte
Empörung sie erfasste. Er hatte kein Recht, ihre Sachen anzufassen, schon gar
nicht etwas so Kostbares wie dieses letzte Bild ihrer Familie.
Auf der anderen Raumseite legte sich der haarlose
Kopf fragend zur Seite.
Er erhob sich und bewegte sich langsam und offenbar
unter Schmerzen auf sie zu.
Müßig registrierte sie, dass seine Schusswunden
aufgehört hatten zu bluten.
Das Gewebe schien nicht mehr so
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