Lass den Teufel tanzen
zugleich, an ihrem Rockzipfel hängen, während der Blick ihrer Mutter einzig und allein einem der Musikanten gilt. Die Gemahlin des Bürgermeisters denkt, dass selbst die Tiermaske dem jungen Mann darunter nichts von seiner
Anziehungskraft rauben kann. Indessen kann sich niemand mehr ruhig halten. Gleich einem aufbrausenden Wind fährt die Musik durch die Körper und schüttelt sie wie Bäume im Sturm. Es ist ein finsteres Fest.
Auf der Piazzetta della Signuría ist das Licht der Lampions schummrig geworden und wird nur wenig verstärkt durch die flackernden rötlichen Glühbirnchen, die an ausgefransten Schnüren über den Köpfen der kleinen Menge baumeln, welche sich um die Musikanten versammelt hat. Kein Mond, keine Sterne, der Himmel bedeckt, es ist drückend, schwül. Jetzt kommt ein leichter Wind auf. Die Lichterkette flattert hin und her. Zwei Birnen erlöschen. In der finstersten Ecke des kleinen Platzes blitzt erneut das weiße Kleidchen von Archina auf, die von Nunzio am Ärmel gezogen wird. Die beiden bleiben nicht stehen, um die wogende Menge zu betrachten, sondern gehen, ohne der Musik zu lauschen, direkt auf das Dorfende zu, als müssten sie in einer Zeit, die aus den Fugen geraten ist, schwimmend um ihr Leben kämpfen. Um ein anderes Schicksal.
In genau derselben dunklen Ecke des Platzes folgt Narduccio ihnen in gebührendem Abstand, schweren Schrittes wegen seiner Absätze. Erneut fährt ein Windstoß über den Platz. Archinas Kleidchen bläht sich auf, hebt sich über den mageren Beinen, wie ein eisblaues Irrlicht am Rande eines Friedhofs.
Währenddessen fährt der Wind unter das Kopftuch mit dem rot-weißen Blumenmuster, das sich einer der Männer im Frauengewand über die Perücke gebunden hat, und reißt es ihm vom Kopf. Er flucht, versucht es festzuhalten, aber es gelingt ihm nicht. Ein paar Schritte läuft er ihm hinterher,
doch dann verliert er es aus den Augen. Schweren Herzens gibt er auf und kehrt in die Menschenmenge zurück, um das kleine Spektakel weiterzuverfolgen. Das rot-weiße Kopftuch flattert etwa hundert Meter in Richtung Felder und bleibt ein paar Augenblicke an der Windschutzscheibe des Autos hängen, das vor dem allerletzten Haus des Dorfes geparkt ist. Dann nimmt der Wind es wieder mit. Das Kopftuch scheucht eine Katze auf, die die Straße überquert, fliegt über einen Busch und auf den Ast eines Baumes zu, wo es sich ein paar Sekunden verfängt, um sich dann wieder zu befreien und über die Olivenbäume rund um Terranera, den Gutshof der Santos, hinwegzuschweben, den ersten Hof außerhalb des Dorfes. Es berührt das Gesicht von Narduccio Greco, der sich ganz außer Atem hinter einem Pfahl des Zauns, der den Hof umgibt, versteckt hat. Das Tuch segelt noch ein paar Meter weiter und bleibt schließlich in einem der Brombeersträucher hängen, die das Tor des Gutshofs einrahmen. Vor dem Zaun sind gerade Archina und ihr Vater Nunzio eingetroffen. Im Inneren des Hauses brennt ein schummriges Licht, das aus der Küche im Erdgeschoss kommt. Es sieht aus wie Kerzenlicht.
Das Testament
DIE REGENSCHWEREN, DUNKLEN Wolken ziehen rasch vorbei, getrieben von dem Wind, der auch das rot-weiße Kopftuch zwischen den Bäumen hindurch bis zum Zaun von Terranera geweht hat. Sie streben gen Horizont, wo neue Wolkenheere sich verdichten und von Regen künden. Narduccio hebt den Blick, schaut zu den Wolken empor, doch der Gedanke, dass es die letzten Wolken in seinem Leben sein könnten, kommt ihm nicht in den Sinn. Er geht vor dem Zaun des Gutshofs auf und ab, und da er an die hohen Absätze nicht gewöhnt ist, tun ihm schon bald die Füße weh. Schließlich lehnt er sich mit dem Hinterteil an das Mäuerchen, in das der Zaun eingelassen ist, streift einen der Schuhe ab und reibt sich den malträtierten Fuß. Er versucht, Zeit zu schinden. Warum er hierhergekommen ist und was er zu tun hat, weiß er sehr wohl. Und doch bewegt er sich nicht vom Fleck. Es ist, als würden zwei Narduccios dort auf dem Mäuerchen sitzen. Sie sehen vollkommen gleich aus, wie sie da sitzen, den Schuh in der einen Hand, in der anderen den Fuß. Der Unterschied besteht jedoch in der Tatsache, dass der eine von ihnen Bescheid wissen will und der andere nicht. Der eine will dort hineingehen und herausfinden, ob die Dinge tatsächlich so stehen, wie er vermutet, oder ob er bloß zu viele Bücher liest, und in den Büchern, das weiß man, verhält es sich mit den Dingen oft nicht so wie im richtigen Leben. Auch seine
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