Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Sachen Sex. Er offenbart auch das Dilemma, in das sich die Feministinnen mit ihren Dogmen von sozial konstruierter Sexualität verheddert haben. Man kann die Prostitution juristisch zu einem »unerwünschten Verhalten« erklären, aber abschaffen kann man sie nur auf dem Papier. Und die Geschichte der Prostitution zeigt auch: Wo immer die Politik sexuelle Tauschgeschäfte unterband oder restriktiv reglementierte, hat sie die Frauen, die sie vorgab zu schützen, größeren Gefahren ausgesetzt.208
Auf dem Rücken der Sexarbeiterinnen definieren Politiker, Kirchenvertreter, Feministinnen und Lobbyisten also nicht nur ihre Identitäten, sichern ihre Existenzen und Weltbilder und profilieren sich als moralische Instanz. Im Prinzip geht das Helfersyndrom der Berufsmoralisten aus wie das berühmte Hornberger Schießen: Indem sie den Opferstatus von Sexarbeiterinnen fortschreiben, an starren Feindbildern und selektiver Wahrnehmung festhalten, schaden sie denen, die sie »retten« wollen. Aber entkräftet eine gescheiterte Prostitutionspohtik gleich die ganze Argumentation der Kritiker?
Haben sie nicht recht, wenn sie Zuhälter, harte Drogen, die materielle Notlage der Frauen und frühe Mißbrauchstraumen als Einstiegsgründe anprangern? Sind die Frauen nicht in gewisser Weise tatsächlich Opfer?
2 OPFER UND TÄTER
Opferklischees: Larissa
Diejenigen Frauen, die der Sexarbeit grundsätzlich freiwillig nachgehen, aber in Unfreiheit und unter Druck arbeiten, liegen unseren Schätzungen zufolge bei 10-20% der deutschen und 30-40% der ausländischen Prostituierten. Ihre Anzahl schwankt regional: In Berlin dürften es etwa 60%
Ausländerinnen und 40% Deutsche sein. Von den deutschen Frauen arbeiten ca. 10% unter schlechten Arbeitsbedingungen, d. h. mit Zuhälter, auf nicht freiwilliger Basis. Bei den Ausländerinnen schätze ich, daß man schon auf 30%
kommt, wenn man den Frauenhandel hineinrechnet. Aber das ist eine Mutmaßung, genaue Zahlen gibt es nicht.
Man kann aber nicht davon ausgehen, daß alle Frauen, die vom Frauenhandel betroffen sind, gänzlich unglücklich sind.
Das sind nicht immer die Opfer, die man im Fernsehen sieht, die tatsächlich wie die Sklaven gehalten werden.
Streetworker im deutsch-polnischen Grenzgebiet hören mitunter Sätze wie »Mein Zuhälter behandelt mich besser als mein Mann« oder »Mir geht es hier besser als zu Hause«.
Obwohl die Frau, die so spricht, einen Zuhälter hat, der sie zur Arbeit zwingt, ist sie glücklicher als in ihrem Heimatland.
Das sollte man einfach als ihre subjektive Gefühlsrealität anerkennen, anstatt ihr etwas anderes einzureden. Wenn sie wirklich aussteigen möchte, sind die Projekte ja sofort zur Stelle, um zu helfen - mit einer Wohnung und juristischer Unterstützung. Ebenso sollte man die Zuhälterthematik differenziert sehen: Es gibt nicht nur den bösen Zuhälter, der droht, schlägt, nötigt und vergewaltigt. Manchmal ist es auch der Lebenspartner, der die Frau zur Arbeit fährt und sich um die Anrufe und Termine kümmert und sich auch ihre Probleme anhört, was sie erlebt hat auf der Straße, und sie auffängt, wenn es ihr nicht so gut geht.
Klischee Nr. 61:
Frauen prostituieren sich stets aus einer
Zwangslage heraus.
Glaubt man den Moralisten, so stehen Sexarbeiterinnen von Anfang an unter Druck: Bei der Zwangsprostituierten steht ein skrupelloser Zuhälter, bei der Beschaffungsprostituierten die Droge, bei der Elendsprostituierten die materielle Notlage, bei anderen ein frühes Mißbrauchstrauma Pate beim Einstieg in die Welt des käuflichen Sex.
In ihrer Ausschließlichkeit reduziert die Opferrhetorik die langwierigen und komplexen Überlegungen, die die Entscheidungsfindung vieler Frauen begleitet, auf ein zentrales Ereignis, eine einzige, alles überschattende Dynamik. So unterstellt sie den Frauen minima le Handlungskompetenzen und ignoriert eine psychologische Grundregel: daß wir in beinahe jeder Situation Wahlmöglichkeiten haben.
Die Frage nach der Freiwilligkeit läßt sich nicht verabsolutieren.
Wenn die Alternative Armut oder Kriminalität heißt, ist ein Ja zur Prostitution nur bedingt als freie Entscheidung zu werten. Aber wie freiwillig ist ein Ja zur Arbeit als Küchenhilfe, Kindermädchen oder Reinigungskraft? Wie viele Menschen arbeiten aus freien Stücken, ohne ökonomischen Druck? Der Zwangscharakter der Arbeit ist vor allem in kapitalistisch strukturierten Gesellschaften so verinnerlicht, daß er im
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