Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Männer als potentielle Gewalttäter wahrgenommen werden. Nach dieser Lesart scheint es Frauen an körperlicher Integrität, Robustheit und Autonomie zu fehlen, als zerbrechliche Wesen bedürfen sie des Schutzes und der emotionalen Geborgenheit einer Beziehung. Damit knüpft der Feminismus nicht nur an die patriarchale Sichtweise einer defizitären weiblichen Sexualität an.
Diese kulturellen Bewertungen bestimmen auch, wie Frauen ihre Sexualität erleben, und legen somit auch Sexarbeiterinnen nahe, daß sie unpersönlichen und bezahlten Sex als Demütigung empfinden sollten. Auf diese Weise wird das Selbstbild vieler Sexarbeiterinnen durch die Wahrnehmung bürgerlicher Frauen verformt.
Und viertens: Wer in der Sexarbeit nur einen zugespitzten Ausdruck männlicher Herrschaft sieht, wird nicht nur blind für die Mechanismen, die dazu führen, daß einige Frauen mehr verdienen und gesünder bleiben als andere. Er oder sie unterschätzen nicht nur den Einfluß der Arbeitsorganisation, die Bandbreite männlicher Persönlichke iten und Motivationen für sexuelle Tauschgeschäfte sowie die Entscheidungs-und Handlungsspielräume der Frauen. Das Konzept männlicher Macht, Herrschaft oder auch sexu-aliserter Gewalt ist zu eindimensional, um die psychologischen Realitäten der Sexarbeit zu erfassen. Es ist einerseits zu diffus, andererseits zu konkret: Es kann nicht erklären, warum ein Mann vergewaltigt, der nächste seine Tochter mißbraucht und ein anderer einer Kellnerin an den Po grabscht.
Warum entschließen sich Männer dazu, Geld für etwas auszugeben, das sie sich auch mit Gewalt nehmen könnten? Gerade der Gewaltbegriff ist zu eng, um das Spektrum sexueller Deutungsmacht, das sich viele Männer anmaßen, auch nur annähernd zu erfassen. Was hat es mit Gewalt zu tun, wenn ihre sexuellen Bedürfnisse von der Sexindustrie und den Medien ernster genommen werden als die vieler Frauen? Was hat es mit Gewalt zu tun, wenn sie aktiver nach Sex suchen als Frauen, offener über die physiologischen Seiten ihrer Sexualität sprechen, sie besser zu kennen und unbeschwerter zu genießen scheinen als viele Frauen, deren Sexualität von der Menarche bis zur Menopause problematisiert und medikalisiert wird?
Sexuelle Tauschgeschäfte haben keinen universellen moralischen Kern. Ebenso wie es Arbeitsplätze, Ehen, Beziehungen und Alltagssituationen gibt, in denen sich Frauen erniedrigt und ausgebeutet fühlen, gibt es auch Segmente der Prostitution, in denen Frauen so empfinden. Auf der Klaviatur der Ausbeutung kann die Sexarbeit neben der Ehe und der Lohnsklaverei stehen. Sie kann aber auch beide weit hinter sich lassen. Mit ihren totalitären Positionen zur Sexindustrie haben sich die feministischen Prostitutionskritikerinnen in eine Verliererecke hineinargumentiert, aus der sie jetzt nur noch schwer herausfinden. Während sie sich an ihren alten Schlachtrufen heiser schrien, ging die Realität an ihnen vorbei. »Der Feminismus in seiner Gier nach gesellschaftlicher Macht«, prophezeite Camille Paglia schon zu Beginn der neunziger Jahre, »ist blind für die kosmische Sexualmacht der Frau.«206
Messen wir den Sinn und Wert feministischer Prostitutionskritik an ihren praktischen Auswirkungen. In Schweden, wo man den Gewaltbegriff kurzerhand um die Facette Prostitution erweiterte, um ein »Sexkaufverbot« durchzusetzen, werden Prostitutionskunden seit 1999 mit Geld-und Haftstrafen bis zu sechs Monaten bestraft.
Obwohl Sexarbeiterinnen ausdrücklich nicht kriminalisiert werden, hat sich ihre Situation spürbar verschlechtert. Durch die indirekte Illegalität sind sie wieder auf Zuhälter angewiesen, die Wohnungen besorgen, überteuert an sie weitervermieten und Kontakte zu Kunden herstellen. Viele tauchten in die wesentlich brutalere kriminelle Unterwelt ab, arbeiten auf Schiffen in der Ostsee oder wandern nach Dänemark aus. Das ursprüngliche Ziel, die Prostituierten vor vermeintlicher Gewalt in Form eines sexuellen Tauschgeschäftes zu schützen, verkehrte sich in sein Gegenteil: Die reale Gewalt gegen Prostituierte nahm nach dem »Sexkaufverbot« zu. »Es gibt weniger Freier, und die Frauen hören nicht mehr auf ihre Alarmglocken im Kopf«, beschreibt ein Polizist vom Sittendezernat aus Malmö die Situation nach dem Verbot der Prostitution. »Sie gehen auch mit einem, der gefährlich sein könnte.«207 Der Fall Schweden zeigt nicht nur die Naivität einer - in diesem Fall sozialdemokratischen -
Fürsorgementalität in
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