Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Bewußtsein oft gar nicht mehr auftaucht und auch selten thematisiert wird. Indem sie allen Sexarbeiterinnen eine Zwangslage unterstellen, unterscheiden die Opfertheoretiker aber auch nicht zwischen einer Frau, die tatsächlich zur Prostitution gezwungen wurde, und einer anderen, die ihr Glück bewußt in der Sexarbeit sucht.
Doch aus moralischen Gründen würde diese Unterscheidung durchaus einen Sinn ergeben: Während ihre freiwillig agierenden Kolleginnen vielleicht unter den Arbeitsbedingungen leiden, werden Zwangsprostituierte zusätzlich in ihren Menschenrechten verletzt.
Anders, als es das Klischee will, ist die Zwangsprostitution nach Experteneinschätzung eine Randerscheinung in der hiesigen Sexarbeitsszene.209 Die meisten Betreiber sind nicht auf Frauen angewiesen, die zur Prostitution überlistet oder geprügelt werden müssen. Die internationale Nachfrage nach Sexarbeitsplätzen in Deutschland ist ungebrochen.
Darüber hinaus ist die
Zwangsprostitution für viele Betreiber auch ein Verlustgeschäft: Verstört wirkende Frauen haben wenig Sex-Appeal, schrecken Gäste durch ihr apathisches oder verzweifeltes Erscheinungsbild ab und werfen ein ungünstiges Licht auf den Laden.
Klischee Nr. 62:
Zuhälter und Menschenhändler sind skrupellose
Verbrecher.
Auch in puncto Zuhälter arbeitet sich die Gesellschaft der Gutmenschen bevorzugt an einfachen Feindbildern ab. Daß die Zuhälterei in der Prostitution keineswegs strukturell verankert ist, belegen aber nicht nur Bordelliers, die sich wie ganz normale Arbeitgeber verhalten, sondern auch Frauen, die zu fairen Bedingungen in Bordellen arbeiten, aber einen Großteil ihres Verdienstes an einen »Freund« abführen, der als Organisator der Tauschgeschäfte nie in Erscheinung tritt. War der Siegelring-Zuhälter, der gleichzeitig als Arbeitgeber auftrat, zu Zeiten der Kiezprostitution noch die Norm, so zahlen manche Frauen heutzutage doppelt: einmal an einen Betreiber und zum anderen an einen »Freund«. Die Entscheidung für die Sexarbeit und die emotionale Verstrickung in eine ausbeuterische Beziehung sind nicht mehr zwangsläufig aneinandergekoppelt, die Zuhälterei wird - wenn überhaupt - in die Privatbeziehung verlagert. Hier leisten Kolleginnen oft mehr praktische Solidarität und emanzipatorische Bewußtseinsarbeit als die pauschale Prostitutionskritik des Mainstream-Feminismus.
Wir leisten Aufklärung: Nadja
Wenn wir merken, eine Frau ist unruhig, dann hinterfragen wir, ob sie zum Beispiel das Geld für sich behält oder ob sie geschlagen wird. Da achten wir schon drauf. Oder manche Teenager, die gerade 18 sind: Die sitzen da und sind verliebt, und wir wundern uns, warum die sich nie neue Sachen kaufen. Dann fragen wir: »Warum gehst du dir nicht mal neue Dessous kaufen?« Wenn sie dann sagt, sie hat kein Geld, fragen wir weiter: »Was machst du eigentlich mit dem Geld?« Dann sagt sie vielleicht: »Mein Freund geht zocken.«
Dann leisten wir Aufklärung und sagen zum Beispiel: »Du kommst jeden Tag hierher und arbeitest hart, um dein Geld zu verdienen, willst du dir nicht überlegen, ob du es auch für dich selbst ausgibst?« Wir bieten ihr an, in ihrem Fach oder bei der Chefin Geld anzusparen, von dem ihr Freund nichts weiß.
Der Zuhälter als Antiheld hat eine lange popkulturelle Tradition, aber seine reale Bedeutung sollte nicht überstrapaziert werden. Ebenso wie Drogen-und Menschenhändler eignet er sich nur bedingt zum Sündenbock, nämlich dann, wenn die vielen legalen Profiteure der Sexarbeit unter den Teppich gekehrt werden. Die Überlebensge-meinschaften von Zuhältern und Prostituierten sind Teil einer Schattenökonomie, die untrennbar mit legalen Finanzströmen verbunden ist. Die dämonisierende Fixierung auf Zuhälter reduziert die Prostitution auf ein Unterweltphänomen, anstatt den Blick auf globale wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten zu lenken. Am Ende des Tages mag unser Siegelring-Zuhälter mit einem gewissen Stolz sein Bündel Geldnoten entblättern und durchzählen. Hält man die Profite der indirekten und legalen Absahner dagegen, offenbart sich, in welchen Dimensionen des Profits oder der Ausbeutung sich die Geschäfte mit der Prostitution abspielen. Zuhälterei und Menschenhandel sind für die meisten männlichen Akteure dasselbe wie die Sexarbeit für viele Frauen: eine Strategie des Überlebens, geboren aus Armut und Perspektivlosigkeit, familiärer Zerrüttung und Verzweiflung.
Natürlich
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