Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
gibt es auch gewaltbereite und sadistische Zuhälter, deren Talent zur Grausamkeit höchstens von ihren schauspielerischen Fähigkeiten übertroffen wird. Ihr zerstörerischer Einfluß fällt vor allem dann auf fruchtbaren Boden, wenn die Frauen jung sind, wenn schlechte Entwicklungsbedingungen ihren Weg in die Sexarbeit ebnen, wenn sie ohne Papiere und Perspektiven in einem Pro-stitutionsszenano landen, dessen Organisation der Staat halbseidenen Profiteuren mit hoher krimineller Energie überläßt.210 Doch Männergewalt ist keine Domäne des Rotlichtmilieus, wie ein Blick in überfüllte Frauenhäuser zeigt. Sie ist allgegenwärtig, weder altersmäßig, kulturell noch sozioökonomisch auf bestimmte Risikogruppen eingrenzbar und läuft unabhängig vom Umfeld nach ähnlichen Mustern ab. Das belegt auch eine Untersuchung der amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Evelina Giobbe, die Motive und Strategien von Zuhältern und prügelnden Ehemännern verglich.
»Die Macht-und Kontrolltaktiken, mit denen Frauen rekrutiert und in der Prostitution gefangengehalten werden, ähneln stark denen, die prügelnde Ehemänner einsetzen, um ihre Partnerinnen gefügig zu machen. Letzterer benutzt diese Taktiken, um die Partnerin im Kontext einer Liebesbeziehung zu dominieren, der Zuhälter, um die Prostituierte wirtschaftlich auszubeuten. Die Taktiken reichen von der Isolation der Frau, der Verharmlosung und dem Leugnen der Übergriffe, dem Durchsetzen männlicher Privilegien über Drohungen und Einschüchterungen bis hin zu emotionalem, sexuellem und körperlichem Mißbrauch.«211 Ob im Namen der Liebe oder im Namen des Geldes - wenn Männer zuschlagen, spielt das Umfeld eine Nebenrolle.
Klischee Nr. 63:
Prostituierte wiederholen in der Sexarbeit
eine frühe Mißbrauchserfahrung.
Eine andere Facette der Opferrhetorik beackert das weite Feld des sexuellen Mißbrauchs. Seit Psychologen biographische Zusammenhänge zwischen einem frühen Mißbrauchstrauma und einer Prostitutionskarriere nachwiesen, entstand die Idee von einer Wiederholung des Mißbrauchs in der Prostitution.212 Aber dieser Zusammenhang hat sich keineswegs als zwingend erwiesen, vor allem nicht bei der Armutsprostitution.213 Bei weitem nicht alle Frauen, die der Prostitution nachgehen, sind in ihrer Kindheit oder Jugend sexuell mißbraucht worden, und längst nicht alle Mißbrauchsopfer steigen später in die Sexarbeit ein. »Es wird behauptet, daß mißbrauchte Frauen oft in die Prostitution einsteigen und dort den Mißbrauch wiederholen«, so Larissa. »Ich denke, daß dies durchaus oft der Fall ist. Aber es steigen auch Frauen in die Sexarbeit ein, die keine Mißbrauchserfahrungen haben und den Mißbrauch gar nicht wiederholen können. Wenn man diesen unterstellt, du weißt nur nicht, daß du mißbraucht worden bist, du gehörst zu der Dunkelziffer der Frauen, die sich daran nicht mehr erinnern können, und jetzt merkst du nicht, daß du über deine körperlichen oder psychischen Grenzen gehst, dann empfinde ich das als Entmündigung.«
Doch genau das ist hierzulande weit verbreitet. So konstatieren die Prostitutionsforscherinnen Beate Leopold und Elfriede Steffan gerade an der Beraterfront eine gewisse Neigung zum Mißbrauch des Mißbrauchs: »Das allgemeine empirische Erkenntnisdefizit im deutschsprachigen Raum über mögliche Zusammenhänge zwischen sexueller Gewalt in Kindheit/Jugend und späterer professioneller Prostitutionstätigkeit, verbunden mit der meinungsbildenden Rolle US-amerikanischer Studien, führt (...) zu einer ganzen Reihe von etwas kurz gegriffenen Annahmen und Verknüpfungen, die zum Teil entscheidenden Einfluß auf die Beratungs-und Betreuungspraxis haben. Es besteht die Gefahr, daß auftretende psychische und soziale Probleme von Prostituierten zu einseitig auf mögliche Mißbrauchserfahrungen zurückgeführt und die Frauen somit auf einen Opferstatus reduziert werden.«214 Wenn Sexarbeiterinnen sich von professionellen Beraterinnen gegen ihr Erinnerungsvermögen auf die Mißbrauchsschie ne gelotst und in ihrer Berufswahl verunsichert und destabilisiert fühlen, so entspricht dies nur dem theoretischen Überbau feministisch inspirierter Beratung: dem Mythos von der Allgegenwart sexualisierter Gewalt.
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