Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
abgleitet.
Familienwerte, das Primat der Beziehungssexualität, die Abschottung einer bürgerlichen Mittelstandsidylle gegen die
»Unterwelt« - mit diesen Säbeln rasseln die Unionspolitiker gegen eine Dienstleistungsbranche, die auch von ihren eigenen Parteigenossen und Wählern immer wieder dankbar in Anspruch genommen wird. Interessant ist, daß sie sich damit auch auf eine christlich inspirierte Prostitutionskritik berufen, letztlich jedoch viel fundamentalistischer argumentieren als viele Kirchenvertreter. »Die Menschenwürde von Prostituierten kann nicht dadurch geschützt werden, daß man ihnen einen umfassenden Rechtsschutz wegen
›Unsittlichkeit‹ ihres Gewerbes vorenthält«, warnt die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen e. V »Dementsprechend muß sich die rechtliche Behandlung des Problems von der rein ethischen Wertung unterscheiden.« Und die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e. V meint sogar: »Wird ein Kontakt im gegenseitigen Einvernehmen, freiwillig, autonom und in gegenseitiger Zuneigung aufgenommen, würden wir nicht von Prostitution sprechen.«
Im Gegensatz zu den Damen und Herren aus den C-Parteien verweisen die Kirchen relativ ungeniert auf die gesellschaftliche Doppelmoral und plädieren für einen ethischen Spagat zwischen karitativen Angeboten für die Frauen einerseits und einer Problematisierung der Prostitution andererseits. »Prostituierte gelten in der kirchlichen Tradition bis heute als Sünder(innen), nicht jedoch als Kriminelle«, so das Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. »Nicht jede Entscheidung zugunsten der Lage der Prostituierten sollte als Förderung der Prostitution verstanden werden. Prostituierte sind in erster Linie Mitmenschen. Sie sind nicht von der sozialen Verantwortung der Gesellschaft ausgenommen.
Prostitution darf nicht gefördert werden. Im Gegenteil müssen präventive Maßnahmen - wie etwa ein entsprechender Sexual-unterricht, Armutsbekämpfung, etc. - unterstützt werden.« Nur die Caritas gefällt sich in der religiösen Hardliner-Pose: »Eine Billigung der Prostitution, auch bei sich wandelnder gesellschaftlicher Auffassung, kann nicht erfolgen. Dennoch war es seit jeher das Bestreben der Kirche und der ihr angehörenden sozialen und karitativen Verbände, den als Prostituierte tätigen Frauen Hilfestellung zu geben, sie zu unterstützen, ihr Umfeld zu verlassen, und sie vor Gewalt
und Ausbeutung zu schützen.«202 Verantwortliche Sexualerziehung, Armutsbekämpfung, Hilfe, Schutz
- die
Opferrhetorik ist auch in den kirchlichen Stellungnahmen unübersehbar. Diese Positionen zeigen: Sexarbeiterinnen sind längst nicht in der Neuen Mitte angekommen.
Feministinnen
Hinter dem Antlitz des Feminismus verbergen sich ähnliche moralische Grundpositionen, nur herausgelöst aus ihrem religiösen Kontext. Erklärte die Kirche Prostituierte im Namen des Christentums zu Opfern, so tut es der Feminismus im Namen des Patriarchats.
Sprachen die Abolitionistinnen einst von Keuschheit und Tugend, so sprechen ihre Enkelinnen von sexualisierter Gewalt und Ausbeutung.
Nicht umsonst erinnert der fundamentalistische Gestus der feministischen Kritik an das Sendungsbewußtsein der frühen amerikanischen Frauenbewegung, die sich aus puritanischen Kirchenverbänden rekrutierte und für die Zukunft der Sexarbeit nur ein Ziel kannte: ihre Abschaffung. Die Sexualfeindlichkeit, die feministischen Prostitutionsgegnerinnen manchmal unterstellt wird, ist weit mehr als eine ungerechte polemische Reaktion: Die kirchlich geprägte und die feministische Kritik der Prostitution wurzeln und treffen sich in ein und demselben Sexualpessimismus. Der Feminismus selbst ist eine spezifische Erscheinungsform innerhalb der jüdisch-christlichen Kulturtradition, weshalb Camille Paglia so weit geht, jegliche Versuche, Feminismus und Sexarbeit miteinander auszusöhnen, als zwecklos zu betrachten.203
Dabei haben sich gerade Feministinnen mit einer Bewertung der Sexarbeit nie leicht getan. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Frauenbewegung gespalten in eine Fraktion, die der Ansicht war, daß die Prostitution die Frauen grundsätzlich erniedrige und ausbeute und daher abgeschafft werden müsse, und eine andere Fraktion, die die Frage aufwarf, ob nicht alle Frauen irgendwo im gleichen Boot säßen: ausgebeutet und erniedrigt auf dem Arbeitsmarkt und in Privatbeziehungen. »Nirgendwo wird die
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