Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Frau nach dem Wert ihrer Arbeit behandelt, sondern stets nach ihrem Geschlecht«, meinte die Feministin Emma Goldman 1911. »Es ist nur ein gradueller Unterschied, ob sie sich an einen Mann verkauft, mit oder ohne Trauschein, oder an mehrere.«204 In beiden Lagern war man sich darüber einig, daß die Aufteilung der Frauen in good girls und bad girls der patriarchalen Kontrolle weiblicher Sexualität diene, und forderte Solidarität mit den Huren, anstatt sich von Männern moralisch auseinanderdividieren zu lassen. Doch genau da lag der Knackpunkt für die fundamentalistischen Prostitutionsgegnerinnen: Wie sollte frau sich mit Prostituierten solidarisieren, ohne mit dieser Geste gleichzeitig die Prostitution als Institution aufzuwerten? Ein Ausweg aus dem Dilemma bot einigen die Umdefinition der Prostitution in Sexarbeit. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu fordern hieß ja nicht, eine Lanze für die Prostitution zu brechen, sondern entsprach den Aushandlungsgepflogenheiten der Zivilgesellschaft.
Der feministische Konsens der letzten zwanzig, dreißig Jahre erinnert in seinen doppelten Botschaften an die kirchliche Prostitutionskritik (und ihre Sexualmoral): Unterstützung der Prostituierten: ja, Unterstützung der Prostitution: nein. Noch im Mai 2001 berief sich Alice Schwarzer in der Sendung Sabine Christiansen auf dieses Motto.205 Der gemeinsame Nenner dieser Zweigleisigkeit war wieder die Opferrhetorik, und so wundert es nicht, daß die praktische Unterstützung der Prostituierten lange auf Beratungs-angebote und Ausstiegsprogramme hinauslief, die das Unmögliche möglich machen sollten: den Frauen auf unterstem sozioökonomischen Niveau ihre Würde wiederzugeben. (Und ein Bewußtsein dafür, daß Männer Schweine sind, wenn sie ins Bordell gehen.) Die feministische Zwangsumarmung der Prostituierten erfuhr eine neue, radikale Dimension, als Carol Pateman die Bühne der Sexarbeitsdiskurse betrat und all jenen aus der Seele sprach, denen die
»Natur« des sexuellen Tauschgeschäfts und seine moralische Bewertung immer schon Unbehagen verursacht hatte. Pateman sah die Prostitution nicht auf einem Leidensspektrum neben anderen miesen Optionen für weibliche Lebensentwürfe, sondern als prinzipiell unvergleichbar mit anderen Formen der Erwerbsarbeit: eine Form moderner Sklaverei, die die Persönlichkeit der Frauen zerstörte, ein Instrument männlicher Herrschaftserhaltung im Rahmen der Diktatur der heterosexuellen Norm. Die Prostitution, so eins ihrer polemischsten Argumente, war der einzige Beruf, der Serienmörder zu ihren Verbrechen motivierte. Auch wenn solch hard-core-feministische Prinzipienreiterei in akademischen Kreisen lange als Inbegriff intellektueller Coolness galt, kann man ihr nicht den Einwand ersparen, daß auch sie an der komplexen Realität der Sexarbeit vorbeischwadroniert. Sie bekommt sie ebensowenig in den Griff wie andere Diskurse, die in sexuellen Tauschgeschäften eine absolute, wesenhafte Konstante erkennen und sie kontextunabhängig in ihre jeweiligen Theoriegebäude einverleiben, um wahlweise den allgemeinen Werteverfall, männliche Machtstrukturen oder das Diktat des Kommerzes zu beklagen.
Diese Diskurse scheitern aus vier Gründen. Erstens sind sie blind für die Unterschiede zwischen selbstverantwortlicher und erzwungener Prostitution, zwischen ausbeuterischen und fairen Arbeitsbedingungen, für die unterschiedlichen Interessen und Probleme von Sexarbeiterinnen. Zweitens stärken sie mit ihrer Pauschalkritik der Prostitution nicht die Frauen, sondern das Stigma und seine Folgen. Wenn Sexarbeiterinnen sich nicht genügend abgrenzen, keine gute Verhandlungsbasis gegenüber Kunden und Arbeitgebern finden und schlimmstenfalls ins Visier männlicher Gewalttäter geraten, liegt das auch an den Auswirkungen des Stigmas.
Einem Serienmörder sind die philosophischen Herleitungen der gesellschaftlichen Negativbotschaften über die Prostitution egal. Ihm ist aber klar, daß es sich um Frauen handelt, die sozial abgewertet und entrechtet im Abseits der Gesellschaft stehen und sich lange Zeit z. B.
bei Vergewaltigungen nicht mal auf die Hilfe der Polizei verlassen konnten. Vor allem deshalb ist die Unterstützung von Prostituierten bei gleichzeitiger Ablehnung der Prostitution nicht nur sinnlos, sondern sogar kontraproduktiv.
Drittens hat die feministische Fixierung auf sexualisierte Gewalt ein Bild geschaffen, wonach Frauen in ihrer sexuellen Identität vor allem als bedroht und
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