Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Konkurrenzkampf auf dem ersten Arbeitsmarkt dazu führt, daß Männer ihre Energien nicht in Beziehungsmachtkämpfen verpulvern wollen und Frauen sich beruflich lieber in der Sexarbeit verwirklichen, dann ist der Wertewandel nicht allein im Gewissen der Individuen, sondern im System angelegt.
Die Sexarbeit ist nicht die einzige kommerzialisierte Dienstleistung im Körper-Seele -Bereich, die konservative Kulturpessimisten immer wieder zu larmoyanten Statements inspiriert. Bis in die siebziger und achtziger Jahre hinein wurden die Psychotherapie, die Altenpflege und Selbsthilfegruppen als prinzipiell dekadent und überflüssig kritisiert -
als ob sich die beklagten Angebote einer sozial intakten Gesellschaft ohne Not von außen angedient hätten. Dabei reagierten sie ja auf eine Auflösung traditioneller Bindungen, die sich in der Mitte der Gesellschaft vollzog: den bürgerlichen Ehen und Kleinfamilien, den Beziehungen zwischen den Generationen. Zwischen den von einer breiten Mehrheit getragenen Moralstandards und Lebensweisen klafft eben eine Lücke, die auf allen Ebenen Ersatzpartner wie Therapeuten, Prostituierte und Altenpfleger nötig macht. Nicht zuletzt deshalb ist die Vermarktung von Intimität ein Aspekt des modernen Lebens, die Geschäftsgrundlage zahlloser Branchen und Berufsgruppen.
Aber auch das Beispiel Partnermarkt zeigt, daß wir in einer Gesellschaft leben, in der die Intimität einen Marktwert besitzt. Wenn die Selbstvermarktung Teil der Beziehungsanbahnung wird, wenn der One-Night-Stand als kostenlose sexuelle Dienstleistung betrachtet wird, dann stellt sich die Frage: Wie kann der häufig wechselnde Geschlechtsverkehr in seiner kommerziellen Variante noch entrüsten, wenn private Sexkontakte immer promisker und marktorientierter ablaufen? Wenn Beziehungspartner Machtkämpfe über Sex und Geld austragen, wenn ein heimlicher Blow Job in der Politik eine Sprengkraft entfaltet, die der Medie nbranche Millionen-Dollar-Geschäfte beschert, wo verlaufen dann die Grenzen zwischen privaten und kommerziellen Lustsphären?
Auch der feministische Mainstream ignoriert die Langzeitfolgen seiner männer-und sexualfeindlichen Dogmen: ein zunehmend unproduktiver Geschlechterkampf, der Männer und Frauen voneinander entfremdet und unter den klarer definierten Vorzeichen der kommerzialisierten Sexualität in alternative Beziehungsformen treibt. Wenn Prostitutionskritikerinnen meinen, daß Intimität nicht vermarktet, sondern zwei gleichberechtigten Subjekten in einer von wechselseitigem Respekt getragenen Beziehung vorbehalten sein sollte, dann idealisieren sie nicht nur ein unrealistisches Beziehungsideal, sondern ignorieren auch die zahllosen privaten und wirtschaftlichen Verlustgeschäfte, die Frauen in Privatbeziehungen und auf dem Arbeitsmarkt eingehen. Die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen manifestieren sich weniger in der selbstbestimmten Sexarbeit als in der globalen Verteilung ökonomischer, sozialer und politischer Ressourcen. Von Gleichheit, Respekt, Wechselseitigkeit des Austauschs können viele Frauen in den bürgerlicheren Sphären der Gesellschaft nur träumen.
Wer mit holzschnittartigen Macht-und Gewaltbegriffen, emotionalisierenden Schlagworten wie Zwangsprostitution, Zuhälterei und Frauenhandel die Sexarbeit analytisch zu fassen versucht, muß an ihrer Komplexität scheitern. Anstatt sich in rebellischer Antiquiertheit hinter alten ideologischen Positionen zu verschanzen, könnte der Mainstream-Feminismus die neue Sexarbeit endlich mal unvoreingenommen auf ihr emanzipatorisches Potential überprüfen.
Über wie viele Schatten müßte frau springen, um die bescheidene Bitte eines simplen soziologischen Sachverhalts zu akzeptieren: anzuerkennen, daß der Grad der Freiwilligkeit, die Arbeitsorganisation und der Kundenkont(r)akt darüber entscheiden, ob eine Dienstleisterin zur Sklavin oder zur Geschäftsfrau wird?
Wer die Vielgestaltigkeit der Sexarbeit betont, handelt sich schnell den Vorwurf ein, einen Lebensentwurf mit Risiken und Nebenwirkungen zu verharmlosen. Wie aber steht es um die Gegenentwürfe? Verunsichern die Moralisten nicht Millionen von Beziehungspartnern, schüren unrealistische Erwartungen, indem sie Sex und Liebe, Ehe und Monogamie in einen Topf werfen? Behindern sie die Menschen nicht in der Weiterentwicklung ihrer persönlichen Potentiale, wenn sie Familienwerte über Individualismus stellen?
Verwandeln sie mit Dogmen von Machtgleichgewichten und Gegenseitigkeit
Weitere Kostenlose Bücher