Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Harvey Rosenstock ein neues Problem: Sie klagen über einen generellen Verlust ihrer Libido.222
Wenn ich Männer hasse, werde ich keine Hure:
Domenica
Ich kann diesen Haß auf Freier überhaupt nicht
nachempfinden. Also, ich muß doch keinen Freier nehmen, ich muß nicht anschaffen. Wir sind nicht so wie in einem anderen Land, wo wir aus Not anschaffen. (...) Wenn ich Putzen hassen würde, würde ich niemals Putzfrau werden.
Wenn ich Kochen hasse, dann werde ich keine Köchin, und wenn ich Männer hasse, dann werde ich keine Hure.223
Klischee Nr. 66:
Freier sind verhaltensgestört.
Die zweite Variante erklärt den Prostitutionskunden zum Täter und setzt auf Straffreiheit und moralische Einschüchterung. Beflügelt durch den Zeitgeist der »political correctness«, entstanden Mitte der neunziger Jahre in einigen Bundesstaaten der USA regelrechte Umerziehungsprogramme für Prostitutionskunden. Zielgruppe dieser
»John's Schools« sind Freier, die der Polizei bei der Kontaktanbahnung mit Straßenprostituierten ins Netz gehen. Die Teilnahme an den ein-bis mehrtägigen Veranstaltungen ist freiwillig, aber da sie den Eintrag in ein Vorstrafenregister verhindern (Prostitution ist in den USA für beide Seiten strafbar), finden die meisten Männer in aller Regel hochmotiviert den Weg in die Workshops. Dort wird ihr Verhalten gezielt in alle Richtungen problematisiert. Die Mitarbeiter klären die Männer über die juristischen Konsequenzen ihres Tuns auf. Sie informieren über die Gefahren sexuell übertragbarer Krankheiten und zeigen ihnen Dias mit syphilitischen Penissen. Anwohner und Geschäftsinhaber aus Gegenden mit florierender Straßenprostitution referieren über den sozialen Niedergang ihrer Wohnviertel. Eine Elendsprostituierte spricht über ihre Erfahrungen mit Gewalt, Ausbeutung und Zuhälterei.
Die Message, die dabei rüberkommt, ist: Ihr seid die Täter, und wir, die Huren und die bürgerliche Gesellschaft, wir sind die Opfer. Einige feministische Initiativen wie das »Sexual Exploitation Education Program« (SEEP) in Portland verbreiteten während der Workshops noch radikalere Botschaften: Sie definierten Prostitution als eine Form männlicher Gewalt und behaupteten, daß diese Gewaltneigung bereits in der männlichen Sozialisation angelegt ist. Das war selbst den Gerichtsbehörden von Portland ein Spur zu dogmatisch, und sie stellten die Zusammenarbeit mit SEEP ein.224
Was in den »John's Schools« vor sich geht, könnte dem Rest der Menschheit ziemlich egal sein, wenn es nicht über die Prostitutionsforschung und die Medien ihre konzentrischen Kreise in die Gesellschaft ziehen würde. Fast alles, was in den letzten Jahren in der Fachwelt über amerikanische Freier veröffentlicht wurde, stammt aus Fragebogenauswertungen irgendeiner »John's School»-Population.
Für die Wissenschaft sind diese neuen sexuellen Umerziehungsstätten ein Segen und ein Fluch zugleich. Einerseits liefern sie den Forschern Probanden (und sei es nur das spezielle Segment der Straßenfreier, was in den Studien dann nicht immer erwähnt wir d). Doch den angenehm milieufernen Zugang zur Zielgruppe bezahlen die Wissenschaftler dann mit Daten von fragwürdigster Aussagekraft. Ein Beispiel: Anonym und jeweils vor der ersten von insgesamt sechs Sitzungen befragte Steven Sawyer, der Leiter einer »John's School«, seine 140 Teilnehmer mit einem Attitudes-Toward-Prostitution-Scale -
Fragebogen (ATPS). Unter dem Druck einer vorangegangenen Festnahme und einer unmittelbar bevorstehenden Moralpredigt, konfrontiert mit Sätzen wie »Prostitution clients have broken mar-riage vows« und »It would be ok if my daughter became a prostitute«, gab nur ein Drittel der Männer an, daß sie Sex mit der Prostituierten genossen hätten. 57% erklärten, sie hätten bereits (vergeblich) versucht, ihre Prostitutionskontakte einzustellen. 29% gaben vorherigen Alkoholkonsum zu Protokoll. 79% waren der Ansicht, daß ihre Prostitutionskontakte sich negativ auf ihre Ehe auswirken, und 85% fänden es nicht in Ordnung, wenn ihre Tochter der Prostitution nachgehen würde. Im Juni 2001 präsentierte Steven Sawyer diese Ergebnisse auf dem 15. Weltkongreß für Sexualwissenschaft vor Experten. Auf die Frage, ob diese Selbstauskünfte nicht auffällig gerichtsfreundlich ausfallen, konterte Steve Sawyer: »Es ist ja gerade das Ziel des Programms, den Klie nten zu einer Verhaltensveränderung zu verhelfen. Das heißt, ihnen zu helfen,
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