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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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arbeiten.
    Doch schon nach wenigen Tagen kam es zwischen ihr und einer Frau, die schon länger bei uns war, zu einem Streit.
    Noch am gleichen Tag mußte ich sie gehen lassen. Während der folgenden Wochen hatte ich Beschimpfungen und saftige Morddrohungen auf dem Anrufbeantworter und eines Tages auch das Wohnungsamt am Hals. Irgend jemand hatte mich denunziert, aus welcher Ecke, das kann ich natürlich nur vermuten. Glücklicherweise fand ich schnell neue Räumlichkeiten, aber mit illegalen Frauen möchte ich nach dieser Erfahrung nic ht mehr zusammenarbeiten. Ich will keine Aufmerksamkeit auf meinen Laden lenken oder irgendwelche Russen anziehen, die plötzlich auftauchen, um nachzusehen, ob ihre Schäfchen noch da sind und fleißig arbeiten. Bei mir waren schon kluge, nette Russinnen, die sich von ihren Zuhältern losmachen wollten und sagten: Es darf aber keiner merken, daß ich hier arbeite. Daraufhin sagte ich: Wie soll ich das verhindern? Und was passiert dann mit unserem Laden?
     
    Klischee Nr. 65: Freier sind sexsüchtig.
     
    Nachdem sich die Allianz der Moralisten über die Jahrhunderte hinweg am Opferstatus der Frauen abarbeitete, könnte man meinen, es sei ein Gewinn, wenn seit neuestem auch die Nachfrageseite ins moralische Kreuzfeuer gerät. Doch der politisch korrekte Schein trügt.
    Wie eh und je geht es der moralischen Mehrheit mehr um Dämonisierung als um Erkenntnis. Wenigstens entkräftet sie auf diese Weise nolens volens das Vorurteil, daß ausschließlich Frauen Zielscheibe und Opfer einer repressiven Sexualmoral sind. Auch Prostitutions kunden werden stigmatisiert, indem sie bevorzugt als unattraktive, kontaktarme und potentiell gewalttätige Außenseiter der Gesellschaft diffamiert werden.
    Ein interessantes Beispiel für die Vereinnahmung der Sexarbeit im Namen konservativer Beziehungsideale und Familienwerte bieten die neuesten, für die westliche Welt meinungsbildenden Diskurse in den USA. Prostitutionskunden werden dort gleich zweifach an den Pranger gestellt, und zwar einmal als Opfer und einmal als Täter. Die Opfervariante trägt das Etikett »Sexsucht«. Wie Nathaneal Hawthornes scharlachroter Buchstabe heftet sich die Modediagnose an jeden, der sexuell außerhalb der Grenzen monogamer Zweisamkeit wildert: Ehebrecher, Onanisten, Pornokonsumenten und selbstredend Prostitutionskunden. Aber was ist eigentlich Sexsucht? Wo genau verläuft die Grenze zwischen sexueller Hyperaktivität und einer ernst zu nehmenden psychischen Störung? Der Sexologe Erwin Haeberle kritisiert den Begriff wegen seiner mangelnden Präzision: Er setzt nicht nur eine Norm für die Häufigkeit sexueller Aktivität und die Natur der Beziehung zu ihren »Zielobjekten« voraus. Er differenziert auch nicht zwischen Gewohnheiten und Zwängen, aggressivem oder selbstzerstörerischem Verhalten.220
    Der amerikanische Sexsucht-Experte Harvey Rosenstock hingegen orientiert sich an einer Reihe anderer Suchterkrankungen und mißt die Schwere der Abhängigkeit u. a. am subjektiven Leidensdruck und einem Verlust an Intimität, Familienzusammenhalt und finanzieller Stabilität. Mit anderen Worten: Setzt eine Ehefrau ihren abenteuerlustigen Gatten mit einer Scheidungsdrohung erfolgreich unter Druck, ist für den Therapeuten Handlungsbedarf gegeben. Der
    »Sexual Addiction Screening Test« (SÄST), mit dem amerikanische Krankenhäuser, kommunale Gesundheitszentren und Therapeuten die Schwere der Erkrankung einschätzen und individuelle Behandlungsprofile erstellen, geht sogar noch weiter: Er fragt nach Erfahrungen mit Pornographie, Prostitution, S/M-Praktiken, nach der Häufigkeit von sexuellen Tagträumen und dem Konsum von Liebesromanen. Von 25. Fragen appellieren allein 17 direkt oder indirekt an die Schuldgefühle des Befragten und machen davon die Diagnose abhängig, die je nach individueller Ausprägung und Expertenmeinung das Etikett Zwangserkrankung, Depression oder Persönlichkeitsstörung tragen kann.221 Schneller wurde noch kein Prostitutionskunde zum Psychiatrie -Patienten. Im günstigsten Fall empfiehlt der Doktor die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe wie den »Sex Addicts Anonymous», die ihr 12-Punkte-Programm weitgehend von den Anonymen Alkoholikern übernommen haben.
    Andere Behandler treiben dem Patienten das kritisierte Verhalten mit Antidepressiva oder Neuro-leptika aus. Nachdem man auf diese Weise den zugrunde liegenden Nähe-und Intimitätsproblemen zu Leibe gerückt ist, haben 80% der Patienten laut

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