Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Beziehungen nicht automatisch in Kriegsschauplätze?
Die pauschale moralische Entrüstung, die die Prostitution nach all den Jahren sexueller Entkrampfung immer noch entfacht, wird nur verständlich, wenn man ihre identitätsbedrohende Seite wahrnimmt: Die Hure und ihr Gast repräsentieren eine Sexualität, die die Grenzen der Monogamie klar überschreitet. Sie erinnern die Gesellschaft daran, daß die Sexualität frei ist, daß erotischer Genuß und Privatsphäre sich ebensowenig gegenseitig bedingen wie unpersönlicher Sex und Würdeverlust. Sie kratzen an ihren Idealen von sexueller Ausschließlichkeit als Ausdruck tiefer Liebe und Zusammengehörigkeit.
Im Grunde genommen geht es den Kritikern darum, die Hegemonie ihres eigenen sexuellen Lebensstils als zeitlos mustergültig zu verteidigen. Die Verunglimpfung der Prostitution ist nur ein Mosaikstein im jahrhundertelangen Kampf der bürgerlichen Gesellschaft gegen jeden, der sich außerhalb der Grenzen ihrer nationalen, sozialen und Geschlechtsidentitäten bewegt: Menschen mit Partnern aus anderen Kulturen, Schwule, Kinderlose, Prostituierte
- im Grunde genommen jeden, der sich außerhalb der Ehe und der Kleinfamilie positionierte. Wenn sich die kritischen Stimmen gegen die Prostitution mehren, dann sicher auch, weil sich die traditionelle Beziehungs-und Kleinfamilienkultur längst auf dem absteigenden Ast befindet: Sinkende Heirats-und Geburtenraten stehen in den USA und Europa steigenden Scheidungsraten und Singleanteilen in der Bevölkerung gegenüber, Liebesbeziehungen werden immer kurzlebiger, unverbindlicher und brüchiger. Längst inspirieren die Defizite dieses Lebensstils mehr Romane, Ratgeber und Redakteure als ihre Vorzüge.
Solange man umsonst darauf wartet, daß die Moralisten eine angemessene Antwort aus einer differenzierten Betrachtung der Sexarbeit able iten, sollte man ihre Grundsätze weniger an ihren Worten als an ihren Taten messen. In Indien, Thailand und Nepal befreien Menschenrechtsinitiativen Mädchen, die in die Prostitution verschleppt wurden, aus Bordellen. Wo bleiben die Befreiungs-aktionen für Sexsklavinnen hierzulande? Wo sind die Aktivistinnen, die - wenn sie sich in ihrer Kritik schon auf Frauenhändler und Zuhälter kaprizieren - gezielte Aktionen gegen einige dieser Peiniger starten, deren Namen der Polizei und den Prostitutionsprojekten oft genug bekannt sind?
Die komplexe Welt des käuflichen Sex zeigt: Es reicht nicht aus, eine Gruppe von Menschen pauschal zu Opfern zu erklären, sich selbst auf der Seite der Moral zu verorten und zu hoffen, daß die Interessen hinter der Fassade der Tugend niemandem auffallen werden. Moral dient immer Interessen: Die Monogamie und die Kleinfamilie dienten dem Überleben, die sexuelle Doppelmoral der männlichen Dominanz. Die essentialistische Moral der Prostitutionskritiker dient ihren Weltbildern und der Existenz von Projekten, nicht jedoch den Sexarbeiterinnen und am allerwenigsten denen, die durch die Maschen der neuen Gesetzgebung fallen: den Frauen des Südens und Ostens, die immense Energien mobilisieren, um in Deutschland der Sexarbeit nachzugehen und selbst nach mehrfachen Ausweisungen nicht aufgeben. Wer ihre Hilferufe ignoriert, ihre Sichtweise mit unseren Maßstäben von Wahlmöglichkeiten entwertet, wer Forderungen nach Green Cards für Prostituierte belächelt und Menschenhändler, die ohne unsere restriktive Einwanderungspolitik gar keine Existenzberechtigung hätten, pauschal zu Gangstern erklärt, pflegt eine moderne Form der Bigotterie.
Wie die Prostitution moralisch bewertet wird, tangiert aber auch ihre ökonomische Dynamik kaum. Die Geschichte der Prostitution zeigt, daß Angebot und Nachfrage selbst unter repressivsten Rahmenbedingungen zueinanderfinden. Indem die Kritiker sexuelle Tauschgeschäfte auf ein Ausbeutungsphänomen reduzieren, lenken sie den Blick einseitig auf die Rotlichtprostitution und vernebeln gleichzeitig die Ausbeutung in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes. Das legt nahe, daß sie sich wenig Gedanken über einen Gesamtzusammenhang von Arbeit und Leben in der Zukunft machen. Ihr Beharren darauf, daß Sex und Arbeit nicht zusammengehören, schreibt ja die ungleiche Verteilung von Arbeit, Aufgaben und Macht zwischen den Geschlechtern fort, die weder der Markt noch der Staat bisher nachhaltig überwinden konnten. Die säuberlichen Demarkationslinien traditioneller Sexualmoral - hier Sexualität und Privatsphäre, dort Geld und Beruf - können aber
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