Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Prostituierte zukünftig nicht mehr aufzusuchen.«225
Auch im vergleichsweise toleranten Deutschland ist die Repression auf dem Vormarsch, trotz liberaler Gesetzgebung. Nach dem Motto
»Skandal im Sperrbezirk« fuhr die Polizei in Mannheim und Leipzig Sondereinsätze im Straßenstrich, um Freier »beweiskräftig zu enttarnen«. Stuttgart reagierte mit Platzverweisen, und in Dortmund dachte man über Bußgelder nach.
Belästigung im Verkehr/Associated Press
Mit einer bundesweit einmaligen Jagd auf Freier hat die Polizei in Leipzig den Straßenstrich beseitigt. Autofahrer, die immer wieder an den auf und ab gehenden Damen langsam vorbeifahren, werden gefilmt, ihre Kennzeichen werden notiert, und anschließend gibt's eine Vorladung bei der Kriminalpolizei. Der Vorwurf lautet ausgerechnet
«Belästigung im Verkehr«. Die Freier müssen Rede und Antwort stehen, um zur »Aufklärung eines Sachverhaltes beizutragen«, wie es im Amtsdeutsch heißt. (...) Das Ordnungsamt ermittelte rund 200 Freier über die Kennzeichen ihrer Fahrzeuge, die Polizei filmte die
»Kundschaft«, und dann schlug sie Ende Juni zu. An zwei Tagen wurden 22 Damen des horizontalen Gewerbes im Alter zwischen 16 und 56 Jahren zur Polizei zitiert. Und um noch eins draufzusetzen, ging die Polizei danach an die Öffentlichkeit und teilte mit, dass die Namen von rund 200
ermittelten Freiern in der Nordstraße den Sicherheits-behörden bekannt seien und diese demnächst vernommen werden. Viele der Freier hätten die peinliche Post gar nicht erst abgewartet, sondern seien freiwillig zur Polizei gekommen, sagte Schlegel. Die Begründung sei so kurz wie auch einleuchtend gewesen. Sie wollten verhindern, dass ihre Familien etwas von der Stippvisite auf dem Straßenstrich mitbekommen. (...) Auf die bekannt gewordenen Freier warte in jedem Fall ein Ordnungswidrigkeitsverfahren, denn Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung besage, dass niemand über Gebühr im Verkehr belästigt werden dürfe. Die zwingende Logik: Als Belästigung gilt es, mehr als zweimal um die Damen des horizontalen Gewerbes herumzufahren.226
3 EINE NEUE MORAL
Klischee Nr. 67:
Gutmenschen verstricken sich nicht in
Widersprüche.
All diese Beispiele zeigen: Wenn es um eine kritische Bewertung der Sexarbeit geht, hängen Erkenntnis und Interesse meist untrennbar zusammen. Unglücklicherweise leidet unter dem Gewicht politischer Korrektheit meist der Wahrheitsgehalt. Wer die Sexarbeit ohne eigene Berührungspunkte oder Erfahrungen ablehnt, reagiert damit meist reflexhaft auf ein Bild, das von Berufsgruppen geprägt wird, die ihre Legitimation aus der Existenz von Opfern (oder Tätern) herleiten. Aus Gründen des Selbsterhalts, des Profits oder des Weltbilds verweigern sich die Gutmenschen einer differenzierten Sichtweise. Mit selektiver Wahrnehmung, starren Feindbildern und fundamentalistischen Positionen vereinnahmen sie die Moral für sich und schaffen ein Diskussionsklima, das differenzierte Fragen und Antworten bewußt unterdrückt. Indem sie den Opferstatus von Sexarbeiterinnen im Namen eines Werteabsolutismus fortschreiben, der in unserer Gesellschaft so überhaupt nicht mehr existiert, klammern sie sich an das antiquierte Verständnis von Sittlichkeit, das den Prostituierten das Leben so lange schwer machte, bis es schließlich den verdienten juristischen Tod fand. Indem sie einseitig und bewußt die Negativbilder kultivieren, demoralisieren sie auch alle, die sich für eine Humanisierung der Sexarbeit engagier(t)en.
Besonders die Vertreter wertkonservativer Ideale sind blind für die Konsequenzen, die in ihrer eigenen Werteordnung angelegt sind. Die Verherrlichung des Unternehmertums, die Ideologie des »Jeder ist seines Glückes Schmied«, die Globalisierung des Kapitals im Namen des Profits und ein sehr breiter Freiheitsbegriff finden ihre Entsprechung in der Ökonomie des Begehrens: von den weiblichen Glücksrittern des Südens und Ostens über den organisierten Frauenhandel, vom Siegelring-Zuhälter bis zur Luxusprostituierten.
Die Geister, die die smarten Hüter der Tradition riefen, kehren als Schreckgespenster zurück. Baß erstaunt stehen sie nun vor der Tatsache, daß sich die großen gesellschaftlichen Umbrüche unserer Zeit - Rationalisierung, Globalisierung, Arbeitsmigration, ein expandierender Dienstleistungssektor und der Zerfall traditioneller Familienstrukturen - bis in die intimsten Bereiche unserer Existenz bemerkbar machen. Wenn aber der
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