Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
angehenden
Kolleginnen. »Ich war schon immer der Ansicht, daß Sexarbeit und Mütterlichkeit nah beieinanderliegen.«
Halb angeregt, halb beunruhigt durch den unkonven-tionellen Vergleich, tauen Stefanie und Daniela langsam auf.
Daß gewohnte Rollenbilder ins Wanken geraten, scheint den Weg zu ebnen für eine Debatte über die psychischen Auswirkungen der Prostitution. Stefanie hat Angst davor, was
»das« mit ihr machen könnte. »Das« ist der unverblümte, unverklärte Tausch Sex gegen Geld mit Männern, die keine Partner, sondern Kunden sind. Wenn der Mensch das Produkt seiner Arbeit ist, wie fühlt man bzw. frau sich dann als Produkt der Sexarbeit? Die Frauen beschönigen nichts.
»Meine Stimmung hängt ganz von meiner Tagesform ab«, meint Lydia, die sich bewußt für lange Arbeitsphasen von vierzig Wochenstunden und mehr entschieden hat, die sie routiniert durchzieht. »In diesen Zeiten sage ich mir immer:
›lch bin total durchlässig‹.Und wenn ich meine, ich muß mich auffangen, dann gehe ich einmal die Woche zur Therapie und zur Heilpraktikerin.« Für Larissa sind Phasen der Erschöpfung die Kehrseite ihrer intensiven Konzentration auf den Sexpartner und ein Signal, die Kundenfrequenz zu senken.
Zwei bis drei Massagekunden pro Tag sind für sie das Maximum, danach weichen Inspiration und Sensibilität einem Gefühl der Leere und Erschöpfung in ihren Händen. Qualität und Quantität schließen sich für sie gegenseitig aus. Gegen Kopfschmerzen oder prämenstruelle Stimmungsschwankun-gen hat sie eine eigene Selbstschutzmethode entwickelt:
»Wenn es mir an einem Tag nicht gut geht, sage ich mir einfach: ›lch gehöre der Musik und nicht dem Mann.‹«
Apropos Mann: Endlich rückt auch Stefanie mit den Bedenken heraus, die ihre Miene schon seit längerem verdüstern. »Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen«, beginnt sie stockend und tonlos, »daß ich jemals einen Partner finde, wenn ich mich für diese Art von Arbeit entscheide.« Die unsichtbare Moralgrenze materialisiert sich allmählich. Aber bedeutet ihr Überschreiten wirklich den sicheren sozialen Tod, und, falls ja, wäre das das Ende der Welt? »Viele Frauen praktizieren ja die serielle Monogamie mit dem Gedanken im Hinterkopf, daß der Traumprinz noch kommen wird«, entgegnet Lady Verona. »In der Prostitution kann man aber auch lernen, wie befreiend es sein kann, mit Männern Sex zu haben, ohne automatisch mehr zu
erwarten.« Und wo steht geschrieben, daß sich die Sexarbeit auf unverbindliche Kontakte beschränken muß? »Manche Frauen lernen im Bordell ihre zukünftigen Partner kennen«, meint Lydia. Es klingt, als spreche sie aus Erfahrung. Im gleichen Moment surrt ihr Handy. Kein Partner, sondern ein Kunde ist am Apparat. Vom didaktischen Wert seines Anrufs ahnt er nichts. »Ich bin 1,68 Meter groß, leicht gebräunt, habe kurze rote Haare und eine gute Handvoll Oberweite«, beschreibt Lydia ihr Erscheinungsbild. Es folgen Preisinfor-mationen, die Adresse des Bordells, eine Zeitabsprache. Im Handumdrehen ist die Verabredung getroffen, das Gespräch beendet. Als es gleich danach wieder surrt, streckt Lydia ihr Handy den Neueinsteigerinnen entgegen. Sind sie bereit für ihre erste Lektion in puncto Kundenakquise? Ein Miniprak-tikum nach dem Motto »Learning by Doing«? Doch weder Stefanie noch Daniela bringen dafür schon genügend Mut auf.
Klischee Nr. 5:
Eine Prostituierte bietet Männern Sex gegen Geld ohne emotionale Bindung.
»Jeder von uns braucht im Schnitt in seinem Familienstammbaum nur bis in die 1820er Jahre, also sieben Generationen, zurückzugehen«, so der Evolutionsbiologe Robin Baker, »um auf einen Vorfahren zu stoßen, der von einer Prostituierten geboren wurde.«11 Die meisten von uns tragen demnach die Gene einer Sexarbeiterin in sich, auch wenn die öffentliche Meinung die Prostitution immer noch gern zu einem Randphänomen erklärt. Etwa 400000 Frauen sollen nach Einschätzung von Projekten derzeit in Deutschland der Prostitution nachgehen, szeneferne Experten sprechen dagegen nur von 40000-200000 Frauen. Sämtliche Experten räumen ein, daß der hohe Anteil illegaler, Teilzeit-oder Gelegenheitsprostituierter jeden Versuch einer halbwegs realistischen Einschätzung in Windeseile in eine Milchmädchenrechnung verwandelt. Das Dunkelfeld läßt Spekula -
tionen in alle Richtungen zu, und es ist kein Geheimnis, daß das Spiel mit den Zahlen nicht frei von Interessen ist.12 Letztlich weiß
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