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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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konnten, wie es weitergehen solle, reichte ich die Scheidung ein.
    Zehn bis zwölf Stunden Arbeit am Tag, Alkohol, ein paar unverbindliche Bettgeschichten und tiefschürfende Gespräche mit Kollegen trösteten mich über mein Scheidungstrauma hinweg. Und eine Frau namens Sigrid. Ich lernte sie kennen, als ich eines Abends nach der Arbeit zur Potsdamer Straße fuhr. Sie stand vor einer Stundenpension und unterhielt sich mit Kolleginnen. Durch meine sexuellen Gefühlswallungen hindurch spürte ich eine spontane Sympathie. Ich fing ein Gespräch mit ihr an, fragte nach ihren Preisen, und Minuten später fanden wir uns in einem Zimmer der Pension wieder.
    Sigrid oder Sigi, wie ich sie bald nannte, entsprach nicht nur optisch genau meinem Typ. Sie verstand ihr Handwerk so gut, daß es mich zwei Jahre lang immer wieder zu ihr zog: in Momenten, wenn ich mich einsam fühlte oder vom Anblick attraktiver Frauen erotisch aufgeheizt oder wenn ein Anflug von Depression nahte. Aber nicht nur sexuell verstanden wir uns wunderbar. Sigi hörte mir zu, wenn ich zum x-ten Mal selbstquälerisch rekapitulierte, wie meine Frau mich betrogen hatte.
    Zwischendurch hatte ich auch ab und zu Freundinnen, aber ich spürte schnell, daß ich für eine Beziehung nicht bereit war. In den ersten Jahren nach der Scheidung fühlte ich mich noch zu verwundet, um Risiken einzugehen. Dann folgte eine Phase, in der ich versuchte, mutiger zu sein. Aber spätestens wenn die Damen mir Damast-Tischdecken, Wolken-Stores und ähnliches aufdrängten oder sich im Haushalt unentbehrlich machen wollten, überkam mich ein Gefühl der Panik. Eilig zog ich mich zurück, und wenn sie dieses Signal mißverstanden, erklärte ich die Beziehung offiziell für beendet. In den fünf Jahren nach meiner Scheidung wandelten sich meine Wertvorstellungen und privaten Ziele um 180 Grad. Lange bevor das Wort »Single« aufkam, genoß ich die Vorteile meines neuen Junggesellendaseins in vollen Zügen. Es gab keinen Grund, sich zu binden. Das Leben war lustig, intensiv, abwechslungsreich. Niemand vermißte mich, aber es gab auch niemanden, der mich einengte, bevor-mundete, kritisierte, in irgendwelche Ordnungssysteme pressen wollte, die ich nicht teilte, jederzeit hinter mir lassen oder neu definieren konnte. Ich fühlte mich endlich frei und war entschlossen, keine emotionalen Katastrophen mehr zu riskieren.
    Als ehemaliges Opfer von Täuschungsversuchen stand ich allerdings bald vor einem neuen Dilemma. Wenn ich Frauen kennenlernte, erwarteten sie, daß dem ersten Sex eine Zeit der Verabredungen und des gegenseitigen Kennenlernens vorausging - nach dem Motto: spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Oft wußte ich nicht, ob ich meinem natürlichen Hang zur Aufrichtigkeit oder meinem Trieb folgen sollte. Klar war nur: Je länger ich den bindungswilligen Gentleman spielte, desto mehr fühlte ich mich wie ein Betrüger. Anstelle von Liebes-keimten Schuldgefühle auf, und manchmal brach ich die Beziehung zur Verblüffung der Frauen schon ab, bevor ein Grad an Verbindlichkeit erreicht war, der ihnen und mir emotionale Schmerzen verursachen konnte. Bald erschien es mir sinnvoller, meine Libido ausschließlich mit Prostituierten auszuleben. Aus meiner Sicht bot diese Lebensweise nur Vorteile: Ich brauchte meine Lust nicht aufzuschieben. Die Kontaktaufnahme war unkompliziert, die Aushandlung der Konditionen eine Sache von Minuten. Ich ersparte mir und der Frau Versprechungen, die ich nicht halten konnte. Ich durfte meine erotischen Wünsche frei äußern und mußte nicht befürchten, mein Gegenüber zu irritieren oder zu überfordern. Ich ging garantiert kein Risiko ein, noch einmal so tief verletzt zu werden wie in meiner Ehe. Es entstanden weder finanzielle noch emotionale Folgekosten. Im Gegensatz zu einer privaten Beziehung konnte ich sicher sein, daß ich mich an jedem Abend, den ich im Bordell verbrachte, amüsieren würde. Dafür lohnte es sich, ein bißchen mehr zu arbeiten.
    Die Vorfreude auf meine Abende im Bordell motivierten mich sogar zu Überstunden. Und so hatte ich seit meiner Scheidung vor dreißig Jahren mehr Sex mit Prostituierten als mit privaten Partnerinnen.
     
    Lange Zeit waren sie ein unbeschriebenes Blatt - ihre Motive und Gewohnheiten, ihre Gedanken und Gefühle hinter den sozialen Masken. Daß die Kunden von Prostituierten sich in Schweigen hüllten, kam erschwerend hinzu, und so schlug im Schatten des Tabus die Stunde der Ideologien, der Scham und der Ignoranz.

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