Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
unabhängig davon, wie arm oder reich eine Gesellschaft ist.
Klischee Nr. 46:
Es gibt für eine Frau immer eine berufliche
Alternative zur Sexarbeit.
Nochmal zurück zum kleinen, aber wesentlichen Unterschied zwischen der Vorstellung einer geschlechtslosen Armut, die von abstrakten wirtschaftlichen Mechanismen verursacht wird, und einer umfassenden ökonomischen Benachteiligung von Frauen. Beklagen wir eine allgemeine Armut, so liegt der Gedanke nah, daß, wenn schon nicht der Sozialismus, so doch wenigstens der nächste wirtschaftliche Aufschwung oder ein Konjunkturprogramm des Staates die verzweifelten Frauen aus der Sexarbeit herausholen und in
»normale« Arbeitsplätze manövrieren könnte. Doch sämtliche Daten und Analysen zur Situation des globalen Arbeitsmarktes legen nahe, daß weder die Privatwirtschaft noch der Staat auf absehbare Zeit in der Lage sein werden, Frauen ökonomisch gleichzustellen. Bereits jetzt erhalten Frauen weltweit für vergleichbare Arbeit eine deutlich geringere Bezahlung als Männer.138 Mehrheitlich landen sie in Berufen oder Positionen, die schlechter bezahlt werden, bzw. in Teilzeitarbeitsplätzen.139 Laut World Labour Report 2000 haben die Globalisierung und die Liberalisierung des Handels die Einkommenssicherheit von Frauen weltweit weiter geschwächt und ihr ohnehin erhöhtes Risiko, Opfer von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu werden, noch verstärkt.140 Nach Angaben der Weltbank hat sich die globale Rate der weiblichen Beteiligung am ersten Arbeitsmarkt zwischen 1990-1999 um keinen Prozentpunkt nach dem Komma in Richtung auf mehr Gleichberechtigung verändert.141
In Europa sieht es tendenziell nicht anders aus als in den Schwellenländern. Seit dem Ende der Weltwirtschaftskrise haben sich die Arbeitslosenzahlen nicht mehr auf so hohem Niveau bewegt.
Während die Profite vieler Unternehmen steigen, nimmt die Beschäftigung real ab - in erster Linie, weil Automatisierungsprozesse in allen Bereichen des Arbeitsmarktes die menschliche durch maschinelle Arbeitskraft ersetzen. Die Fortschritte der Informationstechnologien schreiben diese Tradition ungebrochen fort, auch im Dienstleistungssektor, der schon zahllose Frauen vorübergehend oder dauerhaft in die häusliche Sphäre zurückge-beamt hat.
Vor diesem weltwirtschaftlichen Hintergrund kann man das Bild, das vor allem die Medien von »Karrierefrauen« zeichnen, die sich mit grenzenlosem Selbstvertrauen und Optimismus scheinbar mühelos ihren Weg an die Spitzen der Unternehmen bahnen, nur als Augenwischerei bezeichnen. Den Hochglanzwelten der Medien zufolge werden Frauenkarrieren aus Selbstvertrauen, positivem Denken,
ordentlichen Bewerbungen und passenden Outfits
geschmiedet, der Erfolg liegt im Ermessen der einzelnen, in ihrer Leistungsbereitschaft und mentalen Stärke. Doch die Realität sieht anders aus. »In allen entwickelten Industrieländern stapeln Frauen heute Papier, machen Aufzeichnungen, vereinbaren Geschäftsbe-sprechungen und halten den Büroalltag am Laufen«, so die Sozialwissenschaftlerin Helen Fisher. »Dennoch entfallen weniger als 5% aller hohen Managementpositionen in den großen Unternehmen sämtlicher Industriegesellschaften auf Frauen.«142
Abgesehen von den gläsernen Dächern des Corporate Business, abgesehen von negativen Begleiterscheinungen des Arbeitslebens, wie chronischem Streß, Burn-out, Mobbing, stellte sich für Frauen die Existenzsicherung immer schon komplizierter und dramatischer dar als für Männer. Komplizierter, weil sie sich für eine Harmonisierung von Beruf und Familie stärker verantwortlich fühlen, und dramatischer, weil die ökonomische Benachteiligung sie über weite Strecken der Geschichte in materielle Abhängigkeiten trieb. Seit Ehe und Familie als alleiniger Lebensinhalt ausgedient haben, ist die Erwerbsarbeit für Frauen zu einem entscheidenden Aspekt ihrer persönlichen Lebensplanung geworden. Für sich selbst zu sorgen bedeutet weit mehr als die Sicherung der eigenen Existenz. Es geht um nichts Geringeres als persönliche Autonomie - ein Stück Lebensqualität, um das unsere Mütter und Großmütter uns oft beneiden. Ein Ausstieg aus dem Arbeitsleben - sei es durch Arbeitsplatzverlust oder Schwangerschaft - zieht fragmentarische Lebensläufe nach sich, die wiederum die Ansprüche auf Sozialversicherungsleistungen senken und einen Wiedereinstieg ins Berufsleben erschweren. Doch die berufliche Autonomie wirft Fragen nach der Vereinbarkeit von
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