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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara Domentat
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persönliche Autonomie weder auf dem ersten Arbeitsmarkt noch durch Lösungen in der politischen Arena erfüllen konnten. Ist ein Ja zur Sexarbeit vor dem Hintergrund gewisser, wenn auch nicht besonders attraktiver, Wahlmöglichkeiten als unfreiwilliger Leidensweg oder als eine bewußte, rationale Entscheidung gegen die Armut zu werten? Ist die Sexarbeit nichts als ein beredtes Statement über weibliche Optionen auf dem Arbeitsmarkt? Bis die Utopie einer völligen Gleichstellung irgendwann vielleicht verwirklicht ist, werden viele Frauen die Sexarbeit als valide Alternative zu Arbeitslosigkeit, prekären Niedriglohn-Jobs in Büros, Supermärkten und Industrie -
     
    klitschen sowie dem allgemeinen Rattenrennen auf dem Arbeitsmarkt empfinden. Schließlich prägen eingeschränkte Wahlmöglichkeiten und ein geringer Grad von Freiwilligkeit viele Frauen-Jobs in einem männerdominierten neoliberalen Wirtschaftssystem. Doch bislang spricht wenigstens nichts dafür, daß die Nachfrage nach sexuellen Tauschgeschäften signifikant abnehmen wird.
    In Großbritannien setzt sich immer mehr die Sichtweise durch, einen Einstieg in die Sexarbeit weniger als passive Reaktion auf fehlende Optionen, sondern als aktive Entscheidung gegen Armut und Abhängigkeiten von anderen zu bewerten.146 Das britische Projekt
    »English Collective of Prostitutes« sieht die Sexarbeit aber auch als eine Alternative zur ökonomisch motivierten Überlebensgemeinschaft namens Ehe und verweist auf die Situation alleinerziehender arbeitsloser Mütter, denen die Alimente von der Sozialhilfe abgezogen werden. Viele dieser Frauen, so das Projekt, betrachteten ihren Einstieg in die Prostitution als mutigen Schritt in Richtung Selbstbehauptung und Autonomie, eine Weigerung, sich von einem abwesenden Mann, einem schlechtbezahlten oder unsicheren Job oder von Repressalien des Arbeits-oder Sozialamtes abhängig zu machen, kurz: als einen Weg, die durch Armut oder Abhängigkeit beschädigte Würde wiederherzustellen. Wer die Sexarbeit daraufhin abklopft, wie sie sich im Licht der sozio-ökonomischen Herausforderungen ausnimmt, mit denen sich Frauen heutzutage konfrontiert sehen, sollte fragen, wo die größeren Risiken für ihr Wohlbefinden und ihre Würde liegen: in der Abhängigkeit von Sozialleistungen, dem Haifischbecken des Arbeitsmarktes oder einer Sexarbeit, die von Ausbeutung und irgendwann vielleicht auch vom Hurenstigma befreit ist.
    Apropos Kontrollgruppenvergleiche: Nach einer Veranstaltung über das Gesetz zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Lage der Prostituierten im Sommer 2000 fuhr ich mit einem Taxi nach Hause.
    Es war ungefähr ein Uhr morgens, am Steuer saß eine Frau. Ich fragte sie, ob sie Angst vor Überfällen oder Vergewaltigungen habe, wenn sie nachts arbeitete. »Nein«, erwiderte sie, »wie soll man sich denn frei bewegen, wenn man immer an das Schlimmste denkt?« Es stellte sich heraus, daß sie ausgesprochen gerne Nachtfahrten übernahm. Die Straßen waren leer, das Leben, die Gäste erschienen ihr nachts interessanter. Ich fragte sie, ob es etwas gibt, das sie an ihrer Arbeit stört - unabhängig von den Arbeitszeiten. Sie überlegte ein paar Sekunden, ehe sie antwortete. »Welche Ansprüche soll ich schon ans Taxifahren stellen?« fragte sie. »Ich muß Geld verdienen. Wenn ich lange fahre, tut mir der Rücken weh, und manchmal ärgere ich mich über Fahrgäste. Aber wenn es danach geht, was mir gefällt, habe ich, realistisch betrachtet, nicht viele Möglichkeiten zur Auswahl.«
    Das Beispiel zeigt, daß die kleineren und größeren Nachteile eines Berufsalltags, die in der Sexarbeit stets dämonisiert werden, in anderen Dienstleistungsberufen als bedauernswerte, aber unvermeid-liche Begleiterscheinungen der Arbeitsweit akzeptiert werden.
    Beschwert sich eine Taxifahrerin darüber, daß der Kunde den Zielort vorgibt? Sie ist vielleicht ein bißchen genervt, wenn er auch noch die Fahrtroute bestimmen will, aber sie käme wohl kaum auf die Idee, von sich aus einen alternativen Zielort vorzuschlagen. Arbeitet sie freiwillig oder weil ihr die Existenzangst im Nacken sitzt? Vielleicht fährt sie gern mit dem Auto durch die Gegend, aber würde sie den Job behalten, wenn sie eine Erbschaft gemacht oder sechs Richtige im Lotto hätte? Gibt es in ihrem Beruf keine Gesundheits-oder Sicherheitsrisiken? Selbst wenn sie noch nie überfallen oder in einen Unfall verwickelt wurde, so kennt sie vielleicht Kollegen, die Opfer einer

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