Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
des Südens und Ostens zeigt, daß Frauen selbst unter kärglichsten Bedingungen unterschiedliche Wege beschreiten, um die Armut zu überwinden - sie betrachten sich nicht als arme Opfer, sondern als eigenverantwortlich handelnde Subjekte. In weiten Teilen der Dritten Welt und einigen Regionen Osteuropas bestimmen mikroökonomische Initiativen ein Wirtschaftsleben an der Peripherie neoliberaler Interessen: lokale Klein-und Kleinstbetriebe, Kooperativen und Genossenschaften, Markthandel und Dienstleistungen im sozialen Bereich, häufig organisiert von weiblichen Solidargemeinschaften, die das materielle Potential des Unternehmerinnentums mit sozialen Werten wie Kooperation, Gememsinn und Solidarität verbinden. Wo kein eigenständiger Gelderwerb möglich ist, machen sich viele Frauen von Ehemännern oder Großfamilien abhängig, andere gehen betteln oder stehlen, schließen sich mit Männern in kleinkriminellen Überlebensge-meinschaften zusammen, verkaufen ihre Kinder oder begehen Selbstmord. Daß die Armut eine Vielfalt von Elendsszenarien fördert, ist eine einfache mathematische Erkenntnis: Schließlich gibt es in jeder Altersgruppe von Frauen weitaus mehr Arme als Prostituierte.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage, warum viele Frauen sich gegen die Sexarbeit entscheiden, im Grunde genommen produktiver als die Frage, warum sie sich dafür entscheiden.
Es ist auch keine »reine», geschlechtsunabhängige Armut, aus der sich das Heer der Armutsprostituierten rekrutiert. Die Natur eines sexuellen Tauschgeschäftes setzt zahlende Kunden voraus. Aber wie soll in einer Gesellschaft, in der keiner etwas besitzt, Sex gegen Geld getauscht werden? Solche Verhältnisse sind gerade in armen Ländern jedoch selten die Norm. In vielen Gesellschaften, die aus westlicher Perspektive als unterschiedslos arm wahrgenommen werden, sorgen traditionelle Machtstrukturen dafür, daß Männer über mehr Geld und sexuelle Freiheiten verfügen als Frauen. Männliche Dominanz und eine strenge Sexualmoral liefern nicht mir die ökonomische Basis, sondern auch einen legitimierenden moralischen Überbau für eine einheimische Prostitutionsszene. Doch lukrativ wird das Geschäft mit dem Sex in den armen Ländern vor allem über die Nachfrage von außen: über Tourismus, Militärpräsenzen oder eine organisierte Migration in die Länder des Westens und Nordens.
Wo immer sich prostitutive Deals abspielen - stets sind sie symptomatischer für eine globale ökonomische Ungleichheit zwischen Männern und Frauen als für eine geschlechtsunabhängige Armut.
Wenn die Prostitution - wie oft argumentiert wird - ein Armutsphänomen wäre, müßte sie sich in einer Gesellschaft, in der es genügend bezahlte Arbeit (oder andere Möglichkeiten des Gelderwerbs) für alle gibt, im Prinzip von allein erledigen. Friedrich Engels und August Bebel waren davon überzeugt, daß die Prostitution (ebenso wie die Kirche) eine soziale Institution des Kapitalismus sei und folglich mit dessen Überwindung von der Bildfläche verschwinden müsse.135 Wie das Beispiel der kommunistischen Staaten von China über die Ex-Sowjetunion bis hin nach Kuba zeigt, ging diese theoretische Gleichung nicht auf. Auch wenn sie nach offizieller Lesart als kapitalistisches Übel gebrandmarkt und im eigenen Land totgeschwiegen wurden - sexuelle Tauschgeschäfte wurden von den sozialistischen Regimes bei weitem nicht nur in der Auslandsspionage eingesetzt, um den Klassenfeind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Sie spielten sich überall im Sozialismus ab: in den Zügen zwischen Moskau und Leningrad, in Ost-Berliner Cafes, an Kubas Stränden.136 Sexualwissenschaftler wie Havelock Ellis und Kingsley Davis waren schon vor mehr als fünfzig Jahren der Überzeugung, daß die ökonomische Logik der Prostitution durch höhere Lohnniveaus nicht außer Kraft gesetzt wird. Sie argumentierten, daß mit der Schaffung von Arbeitsplätzen zwar insgesamt weniger Frauen der Prostitution nachgingen, aber die so verursachte Knappheit an Sexarbeiterinnen den Wert und Preis der Dienstleistung in die Höhe trieb, was den Frauen wiederum einen finanziellen Anreiz bot, Sex gegen Geld zu tauschen.137 Sowohl die verdeckte Prostitution in den ehemaligen kommunistischen Staaten als auch die Sexarbeit in den Wohlstandsgesellschaften gibt den frühen Theoretikern der Ökonomie des Begehrens recht: Es ist vor allem die Nachfrage, die über das Zustandekommen sexueller Dienstleistungen entscheidet, und zwar
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