Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
tauschten auch deutsche Frauen massenhaft Sex gegen Naturalien, vor allem mit wohlhabenden westlichen Besatzungssoldaten. Ob dieser Tausch eine Art Termingeschäft blieb oder eine verbindliche Beziehung nach sich zog, war erstens eine Entscheidung, die der Mann traf, und zweitens für das tägliche Überleben zweitrangig. Nach Kriegsende, als sich jede achte Frau allein, d. h. ohne Mann, familiäre oder freundschaftliche Netzwerke, durchschlagen mußte, entwickelten sich materiell motivierte Verhältnisse mit einem »Besatzer« zu einer zentralen weiblichen Überlebensstrategie. Heute, fünfzig Jahre später, haben sich die Verhältnisse nur regional verschoben: Sexmigrantinnen aus aller Welt strömen nach Deutschland, auf der Suche nach Männern, die ihnen das Überleben erleichtern. Ob in Form einer Versorgungsehe oder sexueller Tauschgeschäfte, hängt auch heutzutage nicht unbedingt von ihrer eigenen Prioritätensetzung ab.
Das zeigt auch die Erfahrung osteuropäischer Heiratsvermittler, die häufig erleben, daß ihre heiratswilligen Frauen von westlichen Männern als One-Night-Stands mißbraucht werden. Aber auch osteuropäische Sexmigrantinnen geben sich mitunter Träumen von deutschen Märchenprinzen hin, die sie aus der Misere erretten. »Es ist ein beliebter Rekrutierungstrick von Frauenhändlern«, so die Sozialarbeiterin Stana Buchowska von La Strada/Warschau, »jungen Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion eine Arbeit in der Nähe der deutschen Grenze anzubieten. Viele Frauen halten sich im deutsch-polnischen Grenzgebiet mit der Hoffnung im Hinterkopf auf, daß sie möglicherweise zu den Glücklichen gehören, die von einem deutschen Mann mit über die Grenze genommen werden.«
Wegen seiner Bevölkerungsdichte und seines Wohlstands gilt Deutschland als einer der lukrativsten Märkte für Sexmigrantinnen aus Osteuropa und Übersee. Sextourismus und Billigsex in deutschen Grenzregionen mögen uns aus unterschiedlichen Gründen entrüsten, aber ohne sie könnten Millionen Menschen nicht überleben, und ganze Staatshaushalte würden schlagartig absacken. In Thailand, wo junge Frauen massenhaft vom Land in die Rotlichtbezirke des Städte abwandern, werden jährlich etwa 25 Milliarden US-Dollar durch die Prostitution erwirtschaftet, etwa 300 Millionen US-Dollar davon überweisen die Frauen an ihre Familien.131 Bis zu 14% des Bruttoinlandsproduktes asiatischer Staaten kommt durch die Sexarbeit zustande.132
Wenn sich die Prostitution zu einer globalen weiblichen Überlebensstrategie entwickeln konnte, dann vor allem deshalb, weil Frauen überall auf der Welt ökonomisch benachteiligt sind: als Armutsopfer, auf dem Arbeitsmarkt und als Kapitaleignerinnen. Laut UNO leisten Frauen zwei Drittel der Weltarbeit und erhalten dafür 10% des Gesamtlohns. Sie besitzen nicht mehr als 1% des Weltvermögens und 1% des Grund und Bodens. Mehr als zwei Drittel der 1,3 Milliarden ärmsten Menschen der Welt sind Frauen. Und die Frauenarmut nimmt zu, sei es als Massenarmut in den Schwellenländern oder in den innerstädtischen Armutsherden der Wohlstandsgesellschaften des Westens und Nordens. Die demographischen Entwicklungen spielen dabei mit hinein: In vielen entwickelten Ländern sind die Scheidungsraten in den letzten dreißig Jahren um bis zu 500% gestiegen. Allein über 20% der Haushalte alleinerziehender Mütter sind von Armut betroffen.133 Geringe oder fehlende Einkommen, Hunger oder Mangelernährung, Krankheiten oder ein schlechter Gesundheitszustand, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit, Obdachlosigkeit oder menschenunwürdiges Wohnen, Diskriminierung und Ausgrenzung sind die Symptome dieser sozialen Seuche, die überall beklagt, aber selten effektiv bekämpft wird.
Die scheinbar festgefügten Rollen in der globalen Ressourcen-verteilung sind mit dualistischen Schuldzuschreibungen nicht wirklich zu erklären. Es ist keineswegs so, daß eine verarmte Gesellschaft ihre Frauen und Mädchen quasi automatisch und gegen ihren Willen in ein unwürdiges Leben treibt. Daß die Entscheidung zur Sexarbeit selbst im Schatten des Existenzkampfes selten die einzige Überlebensoption ist, zeigt das Beispiel malaiischer Frauen in Singapur, die ihren Einstieg in die Prostitution mit dem Argument begründen, sie wollten der Schufterei als Hausfrau entgehen, oder der Bemba-Frauen aus Afrika, die erklärten, sie wollten durch die Prostitution genug Geld verdienen, um eine Haushaltshilfe einstellen zu können.134 Ein Blick in viele Länder
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