Lass es bloss nicht Liebe sein
einiges größer war als sie. Ständig stieß sie auf dem schmalen Bürgersteig mit ihm zusammen. Robbie war zwar nicht klein, aber auch nicht besonders groß, und sein drahtiger, muskulöser Körper steckte voll überschäumender Energie. Er wäre wie ein Flummiball über den Gehweg gehopst, um Verkehrszeichen herumgetänzelt und hätte dabei ununterbrochen geredet. William dagegen lief mit langen, ausgreifenden Schritten neben ihr her und hüllte sich in Schweigen.
» Sie haben einen russischen Nachnamen«, begann Lily den verzweifelten Versuch eines Gesprächs. Sie spähte fragend zu ihm hoch.
» Ja«, erwiderte er. » Den hab ich von meinem Vater.«
» Und wieso hat Ihr Vater einen russischen Nachnamen?«
» Weil er Russe ist.«
Sie nickte bedächtig. Wer dumm fragt, bekommt dumme Antworten, Mädel, schien er damit sagen zu wollen. Auch gut. Nix da von wegen Geschichten über russische Emigranten, die die Schwindsucht dahingerafft hatte, oder von den russischen Helden der Arbeiterrevolution oder gar Lyrik von Anna Achmatova.
» Gibt es im Hintergrund keine Geschichte, die Sie mir erzählen möchten?«
Er schüttelte den Kopf.
Meinte er damit, dass es keine Story gab? Oder dass er sie ihr nicht erzählen wollte? Oder war die Story so alt, dass sie keine Bedeutung mehr für die Gegenwart hatte?
Sie bogen in die Oxford Street ein und mischten sich unter die Angestellten, die nach Dienstschluss die Geschäfte stürmten. Der Feierabendverkehr strömte nach Osten, raus aus der Stadt. Er nahm ein Päckchen Kretek-Zigaretten aus der Tasche, bot ihr jedoch keine an. Die Zigarette knisterte und rauchte, als er sie anzündete.
» Haben Sie einen russischen Lieblingsdichter?«, erkundigte sie sich.
» Wieso interessiert Sie das?«, gab er mit unbewegter Miene zurück.
Sie zuckte mit den Schultern. » Wenn Sie schon keine Story für mich haben, dann vielleicht ein Lieblingsgedicht.«
» Weshalb sollte ich ein Gedicht für Sie haben?«
» Nicht unbedingt für mich, ich meine bloß einfach irgendein Gedicht.«
» Weil ich russische Vorfahren habe?«
» Ja.«
Er inhalierte den Rauch tief in seine Lungen und schüttelte den Kopf. » Ich kenne ehrlich gesagt kein einziges und vermute mal, dass Sie heutzutage auch schwerlich jemanden finden werden, der eins kennt.«
Lily blieb vor einer Buchhandlung stehen und inspizierte die im Schaufenster ausgestellten Titel. William stellte sich neben sie und schwieg. Sie knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe, ihr Blick schwenkte abermals zu ihm.
» Entschuldigen Sie, war eine blöde Frage.«
» Aber überhaupt nicht, fragen Sie ruhig.« Er atmete den Rauch aus, schnippte die Kretek auf den Gehsteig und trat sie aus.
Sie konzentrierte sich wieder auf das Schaufenster. » Ich schau mir häufiger an, wie andere Buchhandlungen dekorieren und was sie ihren Kunden als Lesestoff empfehlen. Die Tatsache, dass sich dieser Laden so lange hält, zeigt, dass das Management den richtigen Riecher hat.«
Er nickte, sie gingen weiter zum Obst- und Gemüsegeschäft. Draußen inspizierte Lily die Äpfel, wählte vier Pink Ladys aus und legte sie in ihren Einkaufskorb.
» Und welche Story steckt hinter Ihrem Namen?«, wollte er wissen. Er folgte ihr in den Laden und durch die Verkaufsgänge.
» Hinter meinem? Och, nichts Besonderes, aber wo Sie schon fragen… Meine Mom hatte einen grünen Daumen. Der Garten war ihr Heiligtum. Folglich bekam meine ältere Schwester den blumigen Vornamen Poppy Rose.«
» Ist sie auch blond? So wie Sie?«
» Ja, aber eher rotblond. Wir haben beide Probleme mit der Sonne; wenn wir zu lange in der Sonne bleiben, sehen wir aus wie gekochte Hummer. Uff, sie hat mit ihrem Vornamen mehr Glück gehabt als ich– Lilien sind nun mal Friedhofsblumen.«
Er griff an ihr vorbei und nahm sich einen Pfirsich, drehte ihn in der Hand. » Lilien stehen für Schönheit und Reinheit, jedenfalls in der klassischen Sagenwelt.«
Lautes Gehupe erfüllte den Laden, vermutlich war draußen auf der Straße wieder mal der Verkehr zusammengebrochen.
Lily drehte sich zu ihm und lächelte ihn an. » Im heutigen Australien sind Lilien lästiges Unkraut, das die Wasserwege verstopft.«
Er legte den Pfirsich zurück. » Lilien entsprangen der Muttermilch der Königin des Himmels, meinten jedenfalls die alten Griechen.«
Sie jonglierte mit einer Hand voll Aprikosen und fragte: » Woher wissen Sie das alles?«
Er blieb ihr die Antwort schuldig. Stattdessen riss er einen
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