Lass mich in Dein Herz
Lücke huschen. Eilig stieg sie aus, um Andrea nicht zu verlieren.
Die ging auf eines der Mietshäuser zu. Es musste vor Jahren seinen letzten weißen Anstrich bekommen haben. Mit der Zeit war daraus ein dreckiges Grau geworden. Wind und Regen hatten viele schadhafte Stellen im Putz hinterlassen.
Andrea verlangsamte ihre Schritte, studierte nun die Namensschilder an einem der Eingänge. Eine ältere Dame kam aus der Tür. Andrea sprach sie an, während sie ihr die Tür aufhielt. Eine Minute später ging die Frau weiter. Andrea holte ihr Handy aus der Tasche.
Mit wem telefonierte sie? Mit mir jedenfalls nicht, stellte Gina frustriert fest.
Jetzt betrat Andrea den Hausflur. Die Tür fiel hinter ihr zu.
Wenige Sekunden, nachdem Andrea im Hauseingang verschwunden war, erreichte Gina die Tür, drückte den Griff. Die Tür gab nicht nach. Verdammt! Lieber Gott, schick mir auch jemanden, von dem ich die Klinke in die Hand gedrückt bekomme.
Ihre Bitte wurde erhört. Ein Junge mit Skateboard unterm Arm riss die Tür auf und rannte an ihr vorbei. Gina betrat den langen Flur, der an einer alten Holztreppe endete.
Andreas Stimme hallte dumpf durch das Treppenhaus.
Gina lauschte.
»Herr Löwens hat mir fest zugesagt, meinen Wagen zu reparieren und ihn mir bis spätestens gestern vors Haus zu stellen. Nun will ich heute früh losfahren, und was muss ich sehen? Mein Wagen ist immer noch nicht da! Ich muss auf Dienstreise! Mein Chef bringt mich um, wenn ich mit den Unterlagen nicht pünktlich bei der Tagung erscheine! Sie wissen nicht zufällig, wo ich Herrn Löwens finden kann?«
»Woher kennen Sie denn einen solchen Typen?« fragte eine skeptische Frauenstimme. Offenbar war ihr bei Andreas Anblick sofort aufgefallen, dass sie und besagter Löwens aus einem völlig anderen Milieu stammten.
»Was meinen Sie?« Andrea tat ahnungslos. »Ich habe Herrn Löwens zufällig bei Bekannten kennengelernt.«
Mit deutlicher Missbilligung in der Stimme erwiderte die Frau: »Ich kenne ja Ihre Bekannten nicht, und ich erlaube mir kein Urteil über andere, aber man hat von Menschen den Eindruck, den man hat. Und bei Löwens ist das kein guter. Er ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Wenn der mal Ihr Auto nicht verkloppt hat.«
»Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!« rief Andrea in perfekter schauspielerischer Leistung.
»Dem Mann traue ich alles zu, das sage ich Ihnen. Ich sage ja immer, jeder lebt nach seiner Fasson, aber der ist mir regelrecht unheimlich.«
»Unheimlich?« fragte Andrea. Die Frau machte es ihr leicht. Sie brauchte gar keine Fragen zu stellen. Ihr Gegenüber sprudelte förmlich über vor Mitteilungsdrang.
»Die Typen, die bei dem ein und aus gehen, sehen wie Drogendealer und Zuhälter aus. Kurz nach seinem Einzug habe ich mal bei ihm geklingelt. Der Krach aus seiner Wohnung war unzumutbar. Aber ich wollte nicht gleich die Polizei rufen. Und wissen Sie, was passierte, als er die Tür öffnete?«
»Was denn?«
Das Folgende konnte Gina nicht verstehen, weil die Frau die Stimme senkte. Gina fluchte leise.
Sie sah sich um. Neben der Eingangstür hing eine lange Reihe Briefkästen. Die Briefschlitze waren breit genug, dass man hineingreifen konnte. Gina suchte Löwens Namen und fingerte eine Zeitung und zwei Briefe aus seinem Kasten. Der eine Brief war unübersehbar die Telefonrechnung. Der andere von einem Reisebüro.
Gina öffnete ihn. Eine Buchungsbestätigung. Beginn der Reise war der 25. Juli. Das war in drei Tagen. Es brauchte nicht viel Phantasie, um sich zusammenzureimen, was das bedeutete: Löwens war von Valentin angeheuert worden. Wofür? Das wusste Gina natürlich nicht. Aber es würde in den nächsten beiden Tagen passieren. Und anschließend verschwand Löwens für – Gina schaute noch einmal auf den Brief des Reisebüros – vier Wochen. Falls er überhaupt die Absicht hatte zurückzukommen.
»Was machst du denn hier?« Gina fuhr erschrocken herum und sah in Andreas nicht eben freundliches Gesicht. Noch ehe sie antworten konnte, fragte Andrea weiter. »Warum spionierst du mir nach?« Ihre Stimme klang scharf.
»Warum hast du mich nicht wie verabredet angerufen, als du losgefahren bist?« konterte Gina. Jetzt nur nicht klein beigeben!
Andrea packte Gina am Arm und zog sie mit sich aus dem Hausflur hinaus. »Ich hatte dich gebeten, mich allein gehen zu lassen! Ich dachte, ich habe mich verständlich ausgedrückt.«
»Das hast du. Genauso wie du gesagt hast, dass du mich anrufst«, wiederholte
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