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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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kurzen Leiter aufklappen konnte.
    Mama fragte: »Ist er nett?«
    »Viktor?«
    »Ja, natürlich.«
    »Er ist okay, aber damit hab ich noch lange nicht gesagt, dass wir heiraten werden, und außerdem können wir nicht über ihn reden, jetzt, wo er hier ist.«
    »Er versteht doch kein Serbisch, oder? Und du weißt doch, dass wir nur das Beste für dich wollen.«
    Die Tür wurde geöffnet. Papa und Viktor kamen in die Küche.
    Natalie versuchte, Viktors Miene zu ergründen.
     
    Eine halbe Stunde später. Die Vorspeisenteller waren abgeräumt. Natalie half Mama in der Küche. Die erste Halbzeit war gutgegangen. Viktor hatte ein wenig von sich erzählt: von seinen Geschäften mit Autos und Booten. Von seinen Zukunftsplänen. Es schien ganz okay: Papa verhörte ihn nicht im Guantanamo-Stil, sondern ließ es ruhig angehen. Mama fragte hauptsächlich nach seinen Eltern und Geschwistern.
    Viktor konnte sich gut ausdrücken. Er imponierte Natalie immer aufs Neue. Das war zum Beispiel eine der Eigenschaften, die sie an Viktor mochte – er konnte sich mit allen unterhalten. Es half ihm in Hinblick auf seine Geschäfte. Und es half ihm, wenn er in Trouble geriet. Es schadete dabei keinesfalls, dass er gut aussah – er verkörperte eine etwas muskulösere Version von Bradley Cooper, einem ihrer Lieblingsschauspieler. Sie passten zusammen, sie hatten in Bezug auf viele Dinge dieselbe Einstellung. Teilten das Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit, hatten dieselbe Art, auf fremde Menschen zuzugehen und sich in unbekannten Ländern zu verhalten, bewegten sich in denselben Kreisen. Viktor war ein Mann auf dem Weg nach oben – hoffentlich.
     
    Er redete weiter. Er äußerte vernünftige Ansichten in Bezug auf sein Business – mit etwas Glück imponierten sie Papa. Er bemühte sich, Gegenfragen zu stellen, sich für Mamas und Papas neu renovierte Küche zu interessieren, für das Sommerhaus in Serbien, das edle Silberbesteck mit dem eingravierten Familienwappen – womöglich hatte er sich vorbereitet.
    Das Hauptgericht war angerichtet. Schweinebauch, Zwiebeln,
Sremska
, Bratkartoffeln.
    Radovan erhob sein Weinglas. »Viktor, mein Freund. Wissen Sie eigentlich, was der Unterschied zwischen einem schwedischen und einem serbischen Schweinebauch ist?«
    Viktor schüttelte den Kopf und setzte eine ernsthaft interessierte Miene auf.
    »Bei uns wird er nicht mit Bier zubereitet.«
    »Nee, aber er sieht dennoch lecker aus.«
    »Ich kann Ihnen versprechen, dass dem auch so sein wird. Denn mit uns Serben ist es folgendermaßen. Wir haben durchaus nichts dagegen, mal einen Schnaps oder guten Wein zu trinken. Aber wir haben es nicht
nötig
. Wir müssen ihn nicht in jedes Gericht kippen, damit es gut schmeckt. Verstehen Sie?«
    Viktor hielt sein Glas noch immer in der Hand: »Das klingt interessant.«
    Papa erwiderte nichts, hielt aber seines ebenfalls in der Hand.
    Natalie wartete. Die Mikrosekunden kamen ihr so lang vor wie Minuten. Sie sah hinunter auf den Schweinebauch.
    Papas Stimme erklang und überwand den toten Punkt. »Also dann, skål und noch einmal willkommen bei uns zu Hause.«
     
    Anderthalb Stunden später. Das Essen war vorbei. Der Nachtisch:
Baklava
,
Schlagsahne
und Kekse aufgegessen. Der Kaffee ausgetrunken. Die Cognacgläser, Hennessy XO : leer.
    Es war recht gut verlaufen. Viktor hatte vom vielen Lächeln bestimmt Schmerzen in den Gesichtsmuskeln.
    Natalie wollte am Abend gerne ausgehen. Vielleicht danach bei Viktor übernachten. Oder wenn Papa einverstanden wäre, würde sie mit ihm fahren.
    Sie standen vom Tisch auf. Natalie beobachtete Papa die ganze Zeit über. Seine Dinosauriergebärden. Langsame und zielgerichtete Bewegungen mit dem Kopf, der ein Eigenleben zu führen schien: Er pendelte vor und zurück – nach rechts und links, links und rechts – obwohl der Rest des Körpers völlig ruhig war. Sie versuchte Augenkontakt mit ihm aufzunehmen. Einen anerkennenden Blick zu erhaschen. Ein Zwinkern. Ein Nicken.
    Nichts. Warum nur musste er dieses Spiel spielen?
    Sie standen im Flur, um sich anzuziehen. Ihre Jacken hingen hinter einem Vorhang.
    Natalie hatte nicht vor, klein beizugeben. Wenn Papa nicht wollte, dass sie mitführe, musste er es geradeheraus sagen. Viktors Jacke raschelte, eine schwarze North Face, die so dick und flauschig war, dass sie bestimmt mindestens fünfzig Grad minus aushielt. Natalie zog ihre Uggs an. Dann die Weste aus Kaninchenfell, die zwar warm, aber sicher nicht halb so warm war

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