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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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gehört.«
    Sie beugte sich vor. Ihr Gesicht an Viktors. Ihr Mund an Viktors Wange. Er hielt einen Moment zu lange inne, war die Begrüßungszeremonie nicht gewöhnt. Doch dann begriff er. Küsste Mama fast direkt auf die Haut – eigentlich wären zwei Küsse auf der rechten Wange angemessen gewesen, aber es war okay.
    Sie gingen in Papas Bibliothek.
    Radovan saß wie immer in seinem Ledersessel. In dunkelblauem Blazer. Und hellen Cordhosen. Mit goldenen Manschettenknöpfen mit dem Symbol der Familie darauf – Papa hatte sie selber designt – ein verschnörkeltes K mit drei Königskronen darüber. Ihr Familienwappen.
    Die Bibliothek war mit dunklen Tapeten versehen. An den Wänden standen niedrige Bücherregale. Oberhalb der Regale: gerahmte Landkarten, Gemälde und Ikonen. Aus Europa und vom Balkan. Von der schönen blauen Donau. Der Schlacht auf dem Amselfeld. Der Bundesrepublik Jugoslawien. Von diversen historischen Helden. Porträts von Karageorge. Dem Heiligen Sava. Aber vor allem – Landkarten von Serbien-Montenegro.
    Mama schob Natalie nahezu hinein, eine Hand in ihrem Kreuz. Papa stand auf, als er Viktor erblickte.
    »Sie sind also der Freund meiner Tochter?«
    Papa schüttelte Viktors Hand.
    Viktor entgegnete: »Was für eine beeindruckende Bibliothek.«
    Radovan nahm wieder im Sessel Platz. Sagte nichts. Griff lediglich zu der Flasche, die auf einem Sideboard stand, und schenkte zwei Gläser ein.
Rakija
 – wie erwartet.
    »Setzen Sie sich. Es dauert noch eine Weile, bis das Essen fertig ist.«
    Das war Papas Art, Mama zu signalisieren, dass sie in die Küche gehen und weiter vorbereiten sollte.
    Viktor setzte sich in den anderen Sessel. Mit geradem Rücken, fast ein bisschen vornübergebeugt. Er sah aufmerksam aus, nahezu wie auf dem Sprung.
    Natalie drehte sich um. Schloss kurz die Augen.
    Ging dann hinaus.
     
    Papa liebte gutes Essen. Sie musste an das verlängerte Wochenende denken, an dem er und Mama sie in Paris besucht hatten. Am Samstag mieteten sie ein Auto und fuhren in die Champagne. Nachmittags checkten sie in einem Hotel in einem kleinen Ort mit ursprünglichem Charme ein. Ein Rezeptionstresen aus Holz, ein betagter Portier in weißem Hemd, schwarzer Weste und mit breitem Schnurrbart. Die Zimmer waren klein und mit rotem Teppichboden ausgelegt, und die Betten knarrten. Die Aussicht erstreckte sich mehrere Kilometer über die Weinberge.
    Papa hatte angeklopft und den Kopf zur Tür hereingesteckt. Er sagte auf Serbisch: »Mein Fröschchen. Wir wollen gleich essen. Ich hab uns bereits vor acht Wochen einen Tisch reserviert. Sie haben nämlich ziemlich gutes Essen hier, wie ich glaube.«
    »Vor acht Wochen? Das klingt ja völlig krank.«
    »Warte mit deinem Kommentar, bis du gegessen hast.« Papa lächelte und zwinkerte ihr zu.
    Danach hatte Natalie das Restaurant gegoogelt. Sie fand es im Guide Michelin – es hatte drei Sterne und das beste Ranking in der gesamten Champagne. Louise, mit der sie sich die Wohnung in Paris teilte, schrie laut auf, als sie davon hörte: »Wie cool! Das nächste Mal muss ich aber unbedingt mitkommen.«
     
    Mama hatte das Essen fertig. Die Vorspeisen waren auf viereckigen Tellern angerichtet.
Burek
,
Pečena
, Wurst, geräuchertes luftgetrocknetes Rinderfilet. Der
Kajmak
-Käse in einer Glasschale. Es roch nach Ajvar und Vegeta-Kräutern, aber danach duftete es immer, wenn Mama kochte. Natalie hatte ihre Art zu kochen vermisst. In Paris zog sie knallhart LCHF durch –
Low Carb High Fat
, was in Frankreich hauptsächlich
Chèvre chaud
und Lammkoteletts bedeutete. Es war keinesfalls so, dass Mama nur traditionelle Rezepte zubereitete. Oft kochte sie Gerichte aus der Kochsendung von Jamie Oliver oder aus irgendeinem Gesundheitskochbuch nach. Aber wenn Papa mitaß, wollte er das essen, von dem er sicher war, dass er es mochte.
    Mama schickte Natalie mit Servietten hinaus ins Esszimmer. Weiße, gemangelte, mit eingesticktem Familienwappen. Sie sollten wie Fächer gefaltet und in die Kristallgläser gesteckt werden, in denen ebenfalls das Familienwappen eingraviert war. Sie konnte es mit verbundenen Augen.
    Natalie kam zurück in die Küche.
    Mama sagte: »Ich bin so froh, dass du wieder zu Hause bist.«
    »Ich weiß. Du sagst es ja jeden Tag.«
    »Ja, aber heute, wo wir diese Gerichte kochen und im Esszimmer servieren, liegt es mir besonders am Herzen.«
    Natalie setzte sich auf einen Hocker. Er hatte ein Scharnier in der Mitte, so dass man ihn zu einer

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