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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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es herumerzählen würde, dass Jorge etwas plante.
    Tom war eigentlich ein Freund von Mahmud aus alten Zeiten. Jorge kannte ihn seit den Anfängen des Cafés – Tom hatte ihnen bei der Finanzierung geholfen. Lehtimäki: ein Finanzmann, so einer wie die Typen aus der Baubranche, von denen Peppe gequatscht hatte. Lehtimäki: ’n street smart Motherfucker, auf den man sich verlassen konnte. Buchführung, Rechnungsstellung, Papierkram, er konnte alles. Der Typ: ’n Minirechtsanwalt slash Wirtschaftsprüfer in ein und derselben Person. Er trickste herum, ersann ausgeklügelte Strategien und erledigte alles, was erledigt werden musste.
    Völlig klar: Tompa würde ’n wertvoller Mann für sie sein.
    Jorge hatte ihm ’ne SMS geschrieben. Hatte sich kurzgefasst, nichts davon erwähnt, worum es ging. Lediglich: »Hast du Lust, nach Feierabend ins Café zu kommen? Es ist wichtig.«
     
    Jorge lehnte den Kopf zurück. Wartete auf Tom. Dachte daran, wie er zum ersten Mal mit Mahmud über den Gig gesprochen hatte. ’ne kompliziertere Sache als das, was ihm jetzt bevorstand: Mahmud – seine rechte Hand, sein Homie, sein
Hombre
.
    Jorge war unsicher gewesen. Vielleicht würde der Araber ihn verstehen. Vielleicht würde er aber auch einfach nur sauer sein. Es war egal. J-Boy musste etwas an seiner eigenen Situation ändern.
    Nachdem Jorge aus dem Knast gekommen war, hatte er gemeinsam mit Mahmud das Café gekauft. Der Araber war froh, dass Jorge sein Partner werden wollte. Mahmud hatte sich entschieden, seinen Vater happy zu machen: das G-life hinter sich zu lassen. Anständig zu werden. Nahezu ’n Sweden
wannabe
. Und Jorge hatte vor, seinen Stil zu kopieren – möglichst nicht wieder reinzuwandern, ’n geregeltes Einkommen zu verdienen, sich nicht mehr als nötig von den anderen abzuheben.
    Sie knüpften alle möglichen Kontakte, um den Laden aufzubauen. Kauften die Kaffeemaschinen von ein paar Syrern, die Mahmud über Babak kannte. Besorgten Sessel und geschmackvolle Tische mit Mosaik in der Holzplatte von einem Hehler in Alby. Kauften Becher, Teller, Löffel und den ganzen Scheiß übers Netz. Tom ließ im Hinblick auf die Großhändler für Brötchen, Pies und Schokokugeln seine Kontakte spielen. Der Kaffeehändler und der Sandwichvertreiber waren Typen, die Mahmud kennengelernt hatte, als sie die Dienste der Nutten in Anspruch nahmen, die er beaufsichtigte.
    Sie stellten sogar Leute ein. Drei Freundinnen von Mahmuds kleiner Schwester jobbten stundenweise. Sie waren jung, aber die Idee simpel: Süße Mädels machen die Leute scharf, vor allem auf Kaffee.
    Summa summarum: Tipptoppgefühl. Hundertprozentfeeling. Nach ein paar Wochen: Der Laden lief wie ein Maserati auf der Rennbahn in Falkenberg.
    Sie verkauften geradezu ihre Seelen. Arbeiteten twentyfourseven. Jorge gab das Rauchen fast völlig auf, um durchzuhalten. Der Araber trainierte nur noch zweimal die Woche, um es zu schaffen. Jorge sah es als Investition an. Die Sicherheit des Kaffeegeschäfts – er musste nicht länger der schnellen Kohle hinterherjagen. Plus: Er brauchte eine Aufgabe. Er hatte sein letztes Erspartes zusammengekratzt: vom K-Verkauf und anderen Deals aus der Zeit in Freiheit. Wurde Mahmuds Partner im beschaulichen, unbekümmerten, ehrlichen Leben.
    Die Monate vergingen. Der Trend war abzusehen: Alle schienen Cafés zu lieben.
    Der Rubel rollte. Die Tage flogen in Matrix-Karate-Geschwindigkeit vorbei. Sie schufteten wie die Verrückten. Standen jeden Morgen um fünf Uhr auf und nahmen Milch entgegen oder fuhren zu den Megabäckereien außerhalb der Stadt. Bereiteten den Rest des Morgens Frühstück vor. Kümmerten sich während des Vormittags um die Salate, die sie zur Mittagszeit wie die Idioten verkauften. Brühten den restlichen Tag lang Cappuccino, Caffé latte, Caffé macchiato, Caffé was-auch-immer bis neun Uhr abends.
    Mama wurde immer stolzer. Seine Schwester Paola betrachtete ihn mit anderen Augen. Sie konnte ihrem Sohn inzwischen ernsthaft sagen: Jorge ist
un muy buen tío
.
    Eigentlich müsste es ein cooles Gefühl sein.
    Es müsste sich geradezu hammerhaft anfühlen.
    Dennoch: Es war ein merkwürdiges Gefühl.
    Ganz ehrlich: Es war ein extrem merkwürdiges Gefühl.
    Er: vom Staat erzogen, von der Anstalt malträtiert, vom Knast imprägniert. War durchs Leben gedriftet wie ’n Querschläger. Hatte sich vorurteilsbehafteten Lehrern, ermatteten Vormunden, diversen Sozialarbeiterinnen mit ihrem Feministinnengeschwätz erwehrt.

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