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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Spiegelbild im abgeschalteten Fernseher.
    Der Fernseher, den sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte.
    Eigentlich sollte sie in die Stadt fahren und sich mit einer Freundin treffen. Oder gemeinsam mit ihrer Mutter einen Spaziergang machen. Trainieren. Oder sich irgendeinen Film herunterladen. Irgendetwas tun.
    Aber es funktionierte nicht.
    Am frühen Abend würde sie sich mit Stefanovic treffen. Der Zettel, den sie nach der Beerdigung von Goran zugesteckt bekommen hatte, war keine Frage – eher eine Order. Obwohl er nicht die Position innehatte, Natalie herumzukommandieren. Keiner hatte über sie zu bestimmen – die Angestellten ihres Vaters sollten die Klappe halten und ihr gehorchen. Dennoch: Sie wollte Stefanovic heute treffen. Sehen, wie es ihm ging, hören, was er zu sagen hatte.
    Sie saß immer noch im Sessel. Dasselbe Spiegelbild auf dem schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Dieselbe Sinnlosigkeit.
    Das Foto von ihrem Vater an der Wand – als er noch jung war.
    Die Diamantohrringe von Tiffany’s auf ihrem Nachttisch, die sie von ihrem Vater bekommen hatte.
    Papa.
    Sie sah immer wieder dieselben Bilder vor ihrem inneren Auge vorbeiflimmern.
    Den dunkelblauen BMW auf der anderen Straßenseite. Die Stimme ihres Vaters aus dem Auto. Die Flammen, die aus dem Wagen schossen. Der Geruch nach verbrannten Ledersitzen und Menschenhaut.
    Dann hörte sie ein Geräusch. Ein anhaltendes irritierendes Klingeln innerhalb des Hauses. Es war der Alarm unten am Tor. Jemand war auf dem Weg hinauf zum Haus. Jemand, der sich nicht zuvor am Haustelefon angemeldet hatte.
    Ihre Mutter oder Patrik schienen es nicht zu hören. Es klingelte immer noch. Es war gerade mal zehn Uhr morgens.
    Einen kurzen Augenblick erwog sie, in den Sicherheitsraum zu laufen. Aber es erschien ihr übertrieben. Sie konnte ja erst mal auf dem Bildschirm gucken, wer es war.
    Es klingelte an der Haustür. Wer auch immer derjenige sein mochte, der zu ihnen wollte, er stand offenbar bereits vor der Tür und wollte hereingelassen werden.
    Sie stand auf. Das T-Shirt, das sie trug, hatte sie, seit sie vierzehn Jahre alt war. Es war schon so oft gewaschen worden, dass es sich weich wie Seide anfühlte.
    Sie ging in den Flur hinaus. Betrachtete den Überwachungsbildschirm. Vor der Tür standen drei Männer, die sie nicht kannte. Sie sahen aber nicht gerade wie Mörder aus.
    »Kannst du sehen, wer es ist?«
    Natalie drehte sich um. Patrik stand hinter ihr.
    »Nein, ich habe keine Ahnung. Sie sind zu dritt. Soll ich sie fragen?«
    »Nein, das übernehme ich. Geh aus dem Flur weg, Natalie, bis ich mich vergewissert habe, wer sie sind.«
    Natalie ging in die Küche.
    Sie hörte Patriks Stimme.
    »Und wer sind Sie?«
    Das blecherne Geräusch aus dem Lautsprecher neben der Tür: »Wir sind von der Polizei.«
    Dann waren es auf jeden Fall schon mal keine Leute, die darauf aus waren, ihnen in physischer Hinsicht Schaden zuzufügen.
    Sie hörte, wie Patrik die Haustür öffnete.
    Natalie hatte eigentlich vor, hinauszugehen und sie zu begrüßen. Doch sie hielt eine Sekunde lang inne, bevor sie in den Flur trat. Ihr Körper signalisierte ihr – bleib lieber, wo du bist.
    Sie hörte ihre Stimmen.
    »Wir kommen von der Abteilung für Wirtschaftskriminalität.«
    »Aha, und zu wem wollen Sie?«
    »Wir wollen zu keinem Bestimmten. Darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«
    »Ich heiße Patrik Sjöquist.«
    »Würden Sie bitte so freundlich sein und sich ausweisen?«
    Rascheln. Natalie in Habachtstellung. Diese Bullen hier waren offenbar nicht gekommen, um sie zu vernehmen, und auch nicht, um den Mord an ihrem Vater aufzuklären. Sie wollten etwas anderes.
    Sie hörte sie sagen: »Wir haben vor, die Unterlagen von Radovan Kranjic durchzugehen. Buchführung und so weiter. Sind Sie bitte so nett und zeigen uns, wo er die Unterlagen aufbewahrt? Dann kommen wir schon allein zurecht.«
    Patrik gab sich nicht ganz so höflich. »Da sind Sie leider falsch hier. Denn diese Art von Unterlagen hat er nicht hier aufbewahrt, müssen Sie wissen. Der ganze Papierkram befindet sich in den Geschäftsräumen der jeweiligen Unternehmen oder im Büro des Buchhalters. Sie müssen sich dort an jemanden wenden. Hier wohnt die Familie. Und sie trauert um den Verstorbenen.«
    Natalie versuchte rasch zu analysieren, was gesagt wurde. Sie wusste nicht, ob ihr Vater irgendwelche Buchführungsunterlagen oder so etwas zu Hause aufbewahrte. Aber sie wusste, dass sie auf keinen Fall wollte, dass es ihnen

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