Lass sie bluten
Mutterunternehmen ihres Vaters. Sie hatte allerdings nicht gewusst, dass zusätzlich noch ein weiteres ausländisches Unternehmen existierte, aber sie war nicht besonders erstaunt. Das Clara’s hatte ihr Vater ja schon jahrelang betrieben, ebenso verhielt es sich mit der Cateringfirma, und über Rivningsspecialisterna sprachen Goran und die anderen des Öfteren. Aber eigentlich war es nicht die Tatsache, dass es Unternehmen gab, von denen sie nichts wusste, die sie erstaunte – es war eher die hohe Anzahl. Über zwanzig Unternehmen. Vier von ihnen wiesen in den vergangenen Jahren keinerlei Umsatz auf. Fünf von ihnen wiesen jeweils mehr als zwanzig Millionen auf. Sie wusste, dass ihr Vater ein erfolgreicher Geschäftsmann war – aber das hier: Er spielte offenbar in der ersten Liga.
Das, was sie in den letzten Ordnern fand, ließ sie stutzen. Protokolle von Jahresversammlungen, Prospekte, Kaufverträge und diverse Unterlagen zu Schlüsseln und Alarmanlagen. Alles drehte sich um ein und dasselbe: um eine Wohnung in der Björngårdsgata auf Södermalm.
Sie las den Wohnungsprospekt wieder und wieder durch. Die Wohnung lag im Dachgeschoss und war dreiundachtzig Quadratmeter groß. Offene Gestaltungsweise. Luxusrenoviert mit gediegenen Materialien: einem Fußboden aus gotländischem Kalkstein, Walnusspaneele, einer Küche von Poggenpohl. Offenbar hatte jemand mit dem Namen Peter Johansson sie für fünf Millionen und dreihunderttausend gekauft.
Neben einem Tagesordnungspunkt in einem der Protokolle der Eigentümerversammlung stand am Rand handschriftlich angemerkt: gefährlich.
GEFÄHRLICH .
Das Besondere an der Anmerkung: Die Handschrift war die ihres Vaters.
In dem Tagesordnungspunkt ging es darum, dass die Dachwohnung nicht von derjenigen Person bewohnt wurde, die als Mitglied in der Eigentümerversammlung eingetragen war.
Natalie war sich trotz des andersartigen Namens des Eigentümers sicher – diese Wohnung hatte in irgendeiner Form mit ihrem Vater zu tun. Ihr Vater stand in irgendeiner Verbindung zu einer Wohnung in Stockholm, von der er zu Hause nichts erzählt hatte. Und die in gewisser Weise gefährlich war.
Sie musste mehr darüber herausfinden. Sie überlegte erneut, mit wem sie darüber reden könnte.
Es gab lediglich eine Person.
Sie rief Goran an.
»Ich habe hier gewisse Ordner, die die Polizei beschlagnahmen wollte.«
»Und was für Ordner?«
»Mit Unternehmensunterlagen. Ordner, die bei uns zu Hause standen. Sie waren ja gestern hier, die Bullen von der Wirtschaftskripo, aber ich habe ein paar der Ordner beiseitegeschafft.«
Goran sagte: »Versteck sie an einem sicheren Ort. Wir gucken sie uns gemeinsam an.«
»Ich bin sie bereits durchgegangen, ich kenne ihren Inhalt fast auswendig.«
Sie erwähnte die Anmerkung im Protokoll über die Wohnung nicht.
Er entgegnete: »Okay. Dann versteck sie einfach. Wir reden so bald wie möglich darüber.«
»Ja.«
»Und eins noch, Natalie. Tu nichts, was du später bereuen wirst. Du musst nämlich eins wissen: Das Leben deines Vaters war nicht immer ganz unkompliziert. Manche würden sagen, dass er den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist, aber eins ist sicher – sein Weg war nicht gerade breit. Es gab viele, die ihn gehasst haben, weißt du? Und jetzt musst du selbst entscheiden, denk dran. Es wird bestimmt nicht leichter dadurch, wenn man etwas Dummes macht.«
Natalie erwog eine Sekunde lang, ihn zu fragen, was er damit meinte. Doch sie ließ es bleiben, er hatte ja recht. Der Weg ihres Vaters war in der Tat nicht gerade einfach. Und sie wusste im Augenblick sowieso nicht, was sie eigentlich wollte.
Bald müsste sie bei der Vernehmung dieser Polizeiärsche sein. Sie wusste, was sie bis dahin noch machen würde. Ihre Mutter hatte die Jacken ihres Vaters ins Büro gelegt. Sie hatten nicht einmal darüber gesprochen – was mit all seinen Sachen geschehen sollte: Mit seinen Handys, Uhren, Stiften, Computern, der Kleidung. Aber ihre Mutter wollte die Jacken nicht in der Garderobe hängen haben. Natalie konnte es nachvollziehen – keiner von ihnen wollte im Moment unnötig an seinen Tod erinnert werden.
Sie ging ins Büro. Mit einer Hoffnung im Kopf. Einem Ziel.
Sie griff sich die Mäntel und Jacken. Bis vorgestern hatten sie im Flur gehangen. Ein Trenchcoat von Corneliani, der schweineteuer gewesen sein musste. Eine Helly-Hansen-Segeljacke, die eigentlich zu jugendlich für ihn wirkte. Eine Lederjacke ohne Markennamen – sie
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