Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
Vom Netzwerk:
waren, hatten lediglich vor, das Geschäftsimperium ihres Vaters zum Einsturz zu bringen.
    Manche Leute in Schweden konnten es einfach nicht akzeptieren, dass jemand wie ihr Vater Erfolg hatte. Dass Menschen, die außerhalb von Skandinavien geboren waren, phantastische Fußballer oder Leichtathleten wurden, das war okay. Dass manche von ihnen Pizzerien, einträgliche chemische Reinigungen oder, wenn es hochkommt, auch Restaurantketten betrieben, entsprach ebenfalls den gängigen Erwartungen. Dass manche gut singen konnten und bei
Idol
ihren Durchbruch schafften, konnte man ebenfalls tolerieren. Aber dass jemand Unternehmen in diesem Umfang besaß, wie ihr Vater, durfte nicht vorkommen. Gewisse Dinge waren einfach schändlich. Und dass die Gesellschaft einem getöteten Familienvater kein bisschen Respekt erweisen konnte, war schon krank. Natalie musste daran denken, was ihr Vater immer zu sagen pflegte: »Es gibt keine Gerechtigkeit. Also müssen wir unsere eigene Gerechtigkeit schaffen.«
    Es stimmte – es gab keine Gerechtigkeit. Die Polizei müsste eigentlich die Familie unterstützen. Nach dem Mörder fahnden und Natalie und ihrer Mutter einen gewissen Schutz gewähren. Stattdessen: Die Gesellschaft schiss auf alles, was mit Anstand zu tun hatte. Die Gerechtigkeit musste man selbst in die Hand nehmen.
    Genau wie es ihr Vater immer gesagt hatte.
     
    Sie hatte die Aktenordner geholt, die sie gestern Abend bei Tove deponiert hatte – und seitdem keine Sekunde lang geschlafen. Stattdessen Blatt für Blatt in den Ordnern gelesen, mit einem Stift in der einen und einem Notizblock in der anderen Hand. Hatte alles angestrichen, was ihr interessant vorkam, und bestimmte Passagen mit einem Post-it-Sticker versehen. Hatte sich Fragen notiert, die sie stellen wollte. Sie wusste allerdings noch nicht, wem. Der Anwalt, den sie verpflichtet hatten, um den Nachlass zu verwalten, machte einen vernünftigen Eindruck, aber er wäre nicht der richtige Ansprechpartner. Vielleicht kannte Goran ja jemanden.
    Die Ordner vor ihr auf dem Fußboden: sieben Stück, schwarz, prall gefüllt. Mit dem Kranjic-Emblem auf dem Aktenrücken. Im Büro des Buchhalters gab es bestimmt Hunderte davon. Im Büro ihres Vaters standen mindestens vierzig Stück. Und alle außer diesen sieben hatten die Bullen beschlagnahmt.
    Anfänglich hatte sie auf gut Glück in ihnen herumgeblättert, dann hatte sie sich hingesetzt und sie genauer in Augenschein genommen. Irgendetwas ließ sie innehalten. Für sie war es eine Möglichkeit, mehr über ihren Vater zu erfahren. Aber vor allem: Hinweise auf das zu finden, was geschehen war. Wer das Attentat ausgeführt hatte.
    WER ?
    Sie bemühte sich, einen Überblick über das Material zu bekommen. Eine gewisse Ordnung dahinter zu erkennen. Eine Struktur auszumachen. Zwischen Unterlagen, die wichtig sein konnten und offenbar Unwichtigem zu unterscheiden.
    Zwei der Ordner waren angefüllt mit Quittungen und Kopien derselben. Fünf Jahre im Leben ihres Vaters – fünf Jahre des Konsums. Er schien alle möglichen Quittungen gesammelt zu haben, unabhängig davon, ob es sich um ein Abendessen bei Broncos oder eine Luxuslimousine für hundertfünfzigtausend Euro von Autoropa handelte. Es waren Quittungen über Levi’s Jeans von NK , handgenähte Schuhe, von denen er jedes Jahr ein Paar kaufte, Manschettenknöpfe von Götrich – dieser Herrenboutique in der Nähe der Biblioteksgata, in der er immer eingekauft hatte –, bestimmt zweihundert Abendessen, viele Handys, Zubehör für Bluetooth, Computer, Lampenschirme, Hugo for Men-Parfüm, Gesichtscremes, Flugreisen nach England, Belgrad und Marbella, Möbel und sogar einige Mahlzeiten bei McDonald’s.
    Vier der Ordner enthielten Trennblätter. Zwischen diesen Blättern waren Unterlagen von diversen Unternehmen eingeheftet. Es waren Jahresberichte der vergangenen Jahre und anderes, Buchführungsunterlagen, Korrespondenz mit Buchhaltern. Insgesamt: einundzwanzig Trennblätter – mit anderen Worten: einundzwanzig Unternehmen. Natalie notierte sich ihre Namen und den jeweiligen Umsatz in den Jahren, für die sie die Gewinn- und Verlustrechnungen fand, auf einem Papierbogen.
    Ganz ehrlich: Sie wusste, dass sie gut im Kopfrechnen war. Kranjic Holding AB und Kranjic Holding Ltd, Rivningsspecialisterna i Nälsta AB , Clara’s Kök & Bar und Diamond Catering AB , Dolphin Finans AB , Roaming GI AB und so weiter. Gewisse Namen kannte sie: Kranjic Holding AB war das

Weitere Kostenlose Bücher