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Lass sie bluten

Lass sie bluten

Titel: Lass sie bluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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erschien ihr das angemessene Kleidungsstück für ihren Vater zu sein.
    Sie ging ein Teil nach dem anderen durch. Die Außentaschen, die Innentaschen, die Brusttaschen. Allein die Segeljacke hatte mindestens zehn Taschen.
    Sie fand nichts.
    Sie suchte erneut.
    Nichts.
    Sie setzte sich auf den Fußboden in ihrem Zimmer. Die Aktenordner um sich herum ausgebreitet. Sie dachte: Wo könnte sie den Schlüsselbund ihres Vaters nur finden? Vielleicht hatten die Polizisten ihn bereits entdeckt und mitgenommen.
    Dann fiel es ihr ein. Er musste ihn an dem Abend, als er ermordet wurde, bei sich gehabt haben. Also dürfte er nicht in den Jackentaschen stecken, die zu Hause gehangen hatten. Aber er war auch nicht damit begraben worden, das wusste sie. Entweder musste ihre Mutter ihn von der Polizei zurückbekommen und irgendwo abgelegt haben, oder er war immer noch auf dem Revier.
    Sie drehte eine Runde durchs Haus. Ihre Mutter saß im Fernsehzimmer. Natalie ging weiter in das gemeinsame Schlafzimmer ihrer Eltern. Sie steuerte auf den Schrank zu, in dem seine Kleidung hing. Öffnete ihn. Alle Kleidungsstücke hingen noch da.
    Eine Welle des Schmerzes erfasste ihren Körper.
    Sie konnte den Anblick kaum ertragen. Papas Hosen, Pullis und Hemden in einem Farbspektrum, das sich von Weiß über Hellblau bis hin zu Dunkelblau erstreckte. Seine Gürtel an drei Bügeln an der Innenseite der Garderobentür. Seine Krawatten an vier aufklappbaren Krawattenbügeln an der anderen Garderobentür – auf mehreren von ihnen prangte das Familienwappen. Seine Jacketts und Anzüge in farblicher Abfolge.
    Sein Geruch.
    Natalie wollte am liebsten auf dem Absatz kehrtmachen und aus dem Zimmer stürmen. In ihr eigenes Zimmer laufen. Sich aufs Bett werfen und sich durch den Nachmittag heulen. Zugleich spürte sie jetzt: Sie wusste, was sie wollte – sie wollte die Schlüssel finden. Sie wollte etwas erreichen.
    Sie zog eine Schublade aus dem Schrank und fand eine Art Humidor. Ein kleiner Zeiger auf der Außenseite zeigte die Luftfeuchtigkeit an. Sie öffnete ihn – Cohiba für Tausende von Kronen. Keine Schlüssel.
    Sie zog eine andere Schublade aus dem Schrank. Manschettenknöpfe und Krawattennadeln mit dem K-Emblem, massenweise seidene Einstecktücher, drei leere Portemonnaies, eine Geldscheinklammer mit dem Kranjic-Wappen darauf, vier Uhren, die offenbar nicht wertvoll genug waren, um sie in dem kleinen Safe neben dem Bett zu verwahren: Seiko, Tissot, Certina, Calvin Klein.
    Außerdem: ein Schlüsselbund.
    Sie nahm es an sich.
    Vielleicht hatte sie ja Erfolg.

22
    Heute ging es ziemlich früh los. Jorge war seit fünf Uhr morgens wach. Hatte die Augen von selbst aufgeschlagen wie ein Baby, das nicht wieder einschlafen konnte. Mit den Gedanken ausschließlich beim Coup.
    Er machte sich Kaffee. Wanderte in Unterhosen in der Wohnung umher. Trank Wasser. Pisste ein ums andere Mal.
    Jorge spürte seinen Magen. Die kriminelle Angst: die Verdammnis aller G-Jungs.
    Heute: Der Kriegsausbruch – D-Day. Der große, heftige, absolut coole Tag: der GTÜ -Tag.
    Auf den Punkt gebracht: der Tag, an dem J-Boy der vermögendste Latino nördlich des Medellín-Kartells werden würde. Dennoch: Die Unruhe erfasste seinen Körper stärker als nach ’nem zu hoch dosierten Joint.
    Man merkte allen an, dass es an der Zeit war loszulegen.
    Robban und Javier hatten unzählige Male während der vergangenen Nacht angerufen und Sachen gefragt, obwohl es gegen die Regeln war.
    Jimmy und Tom hatten diverse SMS mit Planungsfragen geschickt, obwohl sie die Antwort bereits wussten. Er musste sie daran erinnern, die SIM -Karten und Handys zu entsorgen.
    Mahmud und Sergio klingelten bereits um sieben, obwohl sie acht Uhr ausgemacht hatten.
    Sogar der Babak-Clown hatte gegen zwei Uhr nachts angerufen, um irgendetwas zu fragen. Ausgerechnet der Iraner, der sonst immer alles besser wusste. Glaubte er jedenfalls – also wer von ihnen war nun das Genie?
    Es lag eine deutlich spürbare Spannung in der Luft.
    In vier Stunden war es so weit. Bis dahin hatten sie noch jede Menge zu tun.
     
    Sie hatten Värmdö und die zerbombten Helikopter mit dem Boot verlassen. Dank Tompas Vorbereitungen: Er hatte in der Nacht zuvor einen kleinen Buster geklaut – so leicht wie ’n Furz in der Hose. Er lag am Steg eines Sommerhauses von irgendeinem Svensson, lediglich mit einem Vorhängeschloss an einer Kette gesichert.
    Ein Boot: nicht gerade das Fortbewegungsmittel für Vorstadtjungs. Ganz

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