Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
sollten, wenn sie hier einen Platz ergattern wollen.
Das war mal anders. Als Mitte der Neunzigerjahre meine Tochter einen Kitaplatz brauchte, ging ich zur zentralen Vergabestelle ins Bezirksamt und bekam dort Plätze in drei verschiedenen Kitas angeboten. Der Kindsvater und ich schauten uns alle an und entschieden uns schließlich für jene, die uns besonders gut gefiel. Das klingt wie eine familienpolitische Utopie, ist aber die reine Wahrheit und sollte – wie ich finde – das Standardangebot sein für Familien. Zugegeben, in den Neunzigern war dieser Bezirk kinderverarmt. Die Ostlerinnen waren aufgrund des Wendeschocks in den Gebärstreik getreten, und die Westlerinnen, die bereits hier eingetrudelt waren, machten erst mal Party und glotzten Kinderwagenfrauen wie mich irritiert an. Krass, die hat ’n Kind!, dachten sie wohl und bestellten sich auf den Schreck noch einen Milchkaffee.
Ja, krass. Das denke ich auch, wenn ich mir anhöre, was Stefan von seinen Vorstellungsrunden erzählt. Neulich zum Beispiel war er mit Kyril in einer Kita, die ihm gut gefiel: gelegen in einer ruhigen Seitenstraße, großer Garten, klares pädagogisches Konzept, außerdem auch zwei männliche Erzieher. Als er der Chefin gegenüber reges Interesse bekundete und nach den Anmeldebögen fragte, bremste sie seine Euphorie mit der Frage: »Gibt’s denn etwas, was Sie für die Kita tun können?« Stefan verstand erst nicht recht. Was meinte die Frau, wollte die etwa Geld von ihm? Nein, die wollte ihn. Irgendeine nützliche Eigenschaft, Fähigkeit oder Verbindung musste dieser interessierte Vater doch haben.
Auf der Skala der schlimmen Momente im Kinderverwahr-Business war dies für Stefan der allerschlimmste. Denn was war er denn schon? Ein fünfunddreißig Jahre alter Politikwissenschaftler, ohne festen Job, dafür mit Kind. Kein zupackender Papa, der bei einer Rollrasenfirma arbeitet und ganz unkompliziert den von hundert Kinderfüßchen zerlatschten Rasen flicken könnte. Auch kein Ingenieur oder Elektriker, der bei kleinen Problemen schnell mal die Kita-Spülmaschine reparieren würde. Nicht mal Journalist war er, dann hätte er wenigstens ab und zu mal einen Karton Kopierpapier rüberreichen können. In seiner stillen Verzweiflung bekam Stefan gerade noch raus, dass er trotz Promotion in der Lage sei, eine Bohrmaschine zu bedienen. Dann packte er Kyril und trollte sich.
Natürlich gäbe es eine Lösung für all die suchenden Eltern, zumindest eine logistische. Nämlich die zentrale Erfassung und Vergabe der Kitaplätze. Aber das wäre ja fast Sozialismus und deshalb inakzeptabel. Nein, nein, so etwas Wichtiges wie Kinderunterbringung wird extra kompliziert gemacht und dann so beibehalten. Das bietet den Eltern, den Kitas und der Verwaltung vielfältige Möglichkeiten, sich organisatorisch auszuagieren, schon vor der Geburt. Längst ist es Usus, dass Frauen, in deren Gebärmutterschleimhaut sich gerade erst eine befruchtete Eizelle zu teilen beginnt, die Möglichkeit wahrnehmen, Kita-Castings zu besuchen. Sie wissen noch nicht, ob die Schwangerschaft ein glückliches Ende nimmt – aber sie sollen bereit sein, ihre Rolle als Organisationstalent von Beginn an unter Beweis zu stellen.
Auch Stefan bleibt natürlich dran. Kyril und er haben noch sechs Monate Zeit. Kann sein, sie kriegen etwas. Kann aber auch sein, dass nicht. Dann wird Stefan eine arbeitsamtfinanzierte Handwerkerausbildung anstreben. Wer braucht schließlich Politologen? Er will lieber Zwergenklos reparieren lernen und Wippen gangbar machen. Vielleicht klappt’s dann ja auch für Kyril.
B runo mag nicht oder
J etzt mal nicht so wild hier!
D u, Bruno, jetzt mal nicht so wild!«, ruft die Frau. Es ist Sonntagmittag halb eins beim Vietnamesen, sie hat sich für das Treffen mit der befreundeten Mutter eine bequeme Strickjacke angezogen und die XL -Sonnenbrille aufgesetzt – trotzdem erkennt man auch auf fünf Tische Entfernung noch das quälende Nachtschlafminus der Mittvierzigerin. Weiß Gott, es ist hart, selbst am Wochenende um halb sechs Uhr morgens geweckt zu werden von einem Dreijährigen, der auf der Stelle etwas erleben will, den man aber aus pädagogischen Prinzipien nicht vor dem RTL 2-Frühprogramm parken möchte.
Fünf Stunden sind seit dem ersten Morgenschrei vergangen, das Kind hat zu Hause die halbe Wohnung zerlegt, der Vater braucht Platz, um endlich mal das sauteure Shabby-Chick-Regal zusammenzuschrauben – gut, dass die Mutter ihre Freundin
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