Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
hat, mit der sie sich zum Lunch beim Vietnamesen verabreden kann.
Ich bin schon da. Ich war überhaupt schon vorher da, weil das kleine Restaurant nicht an einem der Hotspots des Prenzlauer Bergs liegt. Sondern jene manchmal entscheidenden sechzig Meter weiter, wo es sonnig ist und ruhig und es einen sensationellen Blick auf den Fernsehturm gibt.
Alles ist schön, ruhig, sonnig und lecker, bis Brunos gestresste Mutter und ihre Freundin hier eintreffen. Beide Frauen verfügen über jeweils zwei Kinder sowie insgesamt zwei wuchtige Kinderwagen und ein Laufrad. Dass Bruno Bruno heißt, war nicht zu überhören, weil dieser kleine Ausbund an Lebensfreude gleich zur Einstimmung eine Blumenvase vom Tisch gefegt hat. Also Bruno, denke auch ich: Nicht so wild, bitte!
Aber das ist natürlich zwecklos. Bruno hat einen halben Tag wochenendbedingten Wohnungsknast hinter sich. Wäre heute ein Wochentag, hätte sich der kleine Kerl im Kindergarten längst ausagiert. Zehnmal wäre er als Ritter ums Gartenrund gedüst, zwanzigmal im Tiefflug in die Kissenburg gesprungen, dreißigmal hätte er beim Mittagessen den schönsten Kartoffelbreikrater zur Explosion gebracht. Das muss jetzt alles nachgeholt werden. Zuerst einmal begibt sich Bruno auf die Knie und robbt zwischen den eng gestellten Gasthaustischen umher. Wo immer er besonders interessante Schuhe sieht, hebt er den Kopf auf Tischkantenhöhe und schreit zu seiner Mutter hinüber: »Mama, gaaaanz komische Füße hat die Frau!« Auch meine schwarzen Halbschuhe scheinen Bruno komisch vorzukommen. Er zieht sich an meinen Knien hoch, legt den Kopf in den Nacken und sagt: »Du bist ja lustig!«
Ja, Bruno, denke ich, ich bin lustig. Eigentlich jedenfalls. Aber hier und heute würde ich doch recht gern in Ruhe meine Wantan-Suppe löffeln und die grandiose Aussicht genießen. Ich zeige mit dem Finger Richtung Mutterschiff und sage: »Ich glaube, du kannst dir jetzt was Lustiges zu essen bestellen, guck mal, deine Mama wartet auf dich.« Und ja, sie wartet auf ihn, und auch der Kellner steht schon mit dem Schreibblock bereit. »Bruno«, ruft seine Mutter über die fünf Tische herüber, »magst du eine Mangolassi?« Gegenfrage: »Was ist das?« Antwort: »Das ist Obst mit Joghurt zum Trinken! Magst du das, Bruno, ja, magst du das?«
Nichts für ungut, aber solange ich denken kann, möchte ich bei dieser Formulierung brechen. Magst du dies, magst du das? Das ist nicht nur unzureichendes Deutsch – einem dreijährigen Kind wäre meiner Meinung nach eher geholfen, wenn es einen handfesten Fragesatz serviert bekäme. In diesem Fall lautete er: Bruno, möchtest du etwas trinken? Wenn ja, komm her und wir besprechen alles Weitere.
Zum anderen offenbart sich in dieser Frage, was den Unterschied an Lebenserfahrung und Kompetenz zwischen Kindern und Erwachsenen ausmacht. Denn mögen soll doch der Nachwuchs alles, was er tut und kriegt. Und wenn er mal was nicht mag, mündet das in dieses knautschig gegreinte, geweinte, geschriene »Dasmagichniiiicht!« Ein Satz wie eine Säge. Beispiel gefällig? Gerade war ich Zeugin eines Magst-du-Dialogs in einem sehr angesagten Schuhgeschäft hier im Viertel. Es frühlingte heftig, die handgefertigten Biolederkreationen waren ansprechend preisgesenkt. Schnäppchenzeit für jene, die sich keine 280-Euro-Stiefel leisten wollen, da mögen die Leder spendenden Ziegen und Rinder noch so glücklich gelebt haben und gestorben sein.
Während ich dort also auf einem unbequemen Hocker saß, ein Paar praktische Winterstiefel anprobierte und darüber nachdachte, ob antizyklisches Kaufen tatsächlich den modischen Trend des kommenden Winters klug voraussehen kann, enterten Mutter und Tochter den Laden. Die Frau hatte im Gegensatz zu mir offenbar beneidenswert kleine Füße, weshalb sie gleich ein sehr schönes, sehr preiswertes Paar rote Boots fand. Innerlich beglückwünschte ich die Frau zu ihrem guten Geschmack, das waren ja vielleicht mal tolle Schuhe! Sie klemmte sich auf den Hocker neben mir, streifte sie über, schloss die silbernen Schnallen und sah damit einfach glänzend aus.
Aber nun ging’s los: »Alma«, sprach sie ihre Tochter an, »Alma, magst du die? Soll die Mama sich die kaufen?« Alma war schätzungsweise zwei. Ein Kleinmensch mit altersentsprechendem Geschmack und einem langen Kitatag hinter sich. Ich bin sicher, Alma wird später, wenn sie groß ist, eine Menge von Schuhen verstehen, aber heute war es einfach noch nicht so weit. Trotzdem,
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