Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
andere von ihren Eltern unterstützt werden. Aber das sieht natürlich keiner, nach außen wirken wir wohlhabend.
Nach so vielen Jahren möchte ich mich nicht mehr dafür verteidigen müssen, dort zu wohnen, wo ich es möchte. Denn ich liebe den Prenzlauer Berg. Ich liebe den Osten. Ich wollte hier unbedingt hin und gehe auch nicht mehr weg. Wir sind damals aus der Pfalz hergekommen. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern Ende der Neunziger. Mein Mann ist Lehrer, der wollte erst gar nicht, er hätte genauso gut dort bleiben können. Und meine Töchter waren damals in der Pubertät, die haben gekämpft darum, nicht hierher zu müssen, heute sind sie gottfroh. Aber ich hatte das Gefühl: Ich muss. Berlin ist die einzige Stadt für mich. Ich wäre auch allein gegangen, das weiß ich heute.
Ich habe schon einmal als junge Frau hier gelebt, in Westberlin, ich war Krankenpflegerin. Durch den Mauerfall ist mir das alles wieder bewusst geworden: also meine Geschichte als Deutsche, der Zweite Weltkrieg war plötzlich wieder ein Thema, die Erzählungen meiner Großmutter von jenem verlorenen Land im Osten. Als ich zwölf war, ist meine Mutter einmal mit mir nach Ostberlin gefahren. Ich erinnere mich an die unglaublich breite windige Straße am Alexanderplatz, den Hackepeter, den ich essen musste, damit das Geld ausgegeben wird. Und an die geheimnisvollen dunklen Straßen, in die wir nicht gehen durften.
Als ich mit siebzehn Jahren nach Berlin gezogen bin, hatte ich Discos und freie Liebe im Kopf. Der Osten war nur präsent als der lästige Streifen Land, der durchquert werden musste. Später hat es meinen Mann und mich dann in den Hunsrück verschlagen, die DDR war verdammt weit weg. Erst als ich im November 1989 im Fernsehen die Bilder vom Mauerfall sah, überschwemmte mich die Erinnerung an die Erzählungen meiner Großmutter. Ein sehr, sehr starkes Gefühl war das.
Ich wollte dann unbedingt hierher, in den Osten natürlich, denn den kannte ich noch nicht. Ich wollte was fühlen. Und ich habe sofort was gefühlt. Als ich Ende der Neunzigerjahre das erste Mal durch dieses Viertel gegangen bin, habe ich all die wunderschönen Häuser gesehen, die Leute waren gut drauf, und am Kollwitzplatz hatte grad Bill Clinton gegessen. Ich war genau dort gelandet, wo der Prenzlauer Berg am schönsten ist, und genau dort war auch die Wohnung, die wir im Auge hatten. Fügung ist so etwas wohl. Ein Adlerhorst zwischen Ost und West, mit ganz weitem Blick.
Den bröckelnden Putz, das irgendwie Dunkle, unfertig Provisorische des Ostens, das mich schon als Kind so fasziniert hatte, gab es im Prenzlauer Berg da schon nur noch an manchen Ecken. Ich stürzte mich auf die Eltern der Freunde meiner Kinder. Echte Ostler, die ich mit hartnäckigen Fragen in Verlegenheit brachte. Ich war empört über die Landnahme der anderen Westler, litt mit den neuen Freunden am Ausverkauf des Prenzlauer Bergs. Dass auch ich Teil dieser Entwicklung war, schmerzte, und am liebsten wäre ich dauernd mit einem Schild um den Hals rumgerannt: »Ich bin nicht so.«
Sie sind ja zum Beispiel eine Frau, die genau zu jener Zeit von hier weggegangen ist, als ich mit meiner Familie hergekommen bin. Sie hatten damals die Nase voll von Leuten wie mir. Aber wie soll ich nun bitte damit umgehen? Das ist ein Problem, über das wir miteinander reden, aber das wir nicht mehr lösen können. Leute wie wir, Zugezogene wie mein Mann und ich, sind jetzt hier in der Mehrheit. Das ist so, das hat sich so entwickelt, und das wird sich erst einmal auch nicht mehr ändern. Es hat sich hier unheimlich viel getan. Das kann man unmöglich ignorieren. Ich sehe kaum noch alte Leute auf der Straße, manche sind gestorben, aber manche mussten einfach gehen, es ist ja alles teurer geworden hier. Diesen Leuten gegenüber habe ich mich mitunter geschämt, ich wollte nicht, dass die weggehen und nur noch Leute wie ich es sich leisten können zu bleiben.
Ich finde es gut, dass es hier jetzt aufgeräumter ist, sauberer. Wenn ich morgens die Galerie aufschließe, schmeiße ich ein paar Bierflaschen und Zigarettenkippen weg, das war’s aber auch schon an Spuren der Nacht. Bis vor ein paar Jahren war das noch ganz anders, da war der Prenzlauer Berg das Ausgehviertel von Ostberlin. Aber heute haben die Partymeister selbst Kinder, sie gehen früh ins Bett und wollen nachts ihre Ruhe haben. Was mich stört, sind die Touristenbusse, die manchmal hier am Laden vorbeischleichen. Wir sind doch hier kein
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