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Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)

Titel: Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Maier
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die Hausmeister der Schule, und spielen Doormen. Ja, sagt Harry, er stehe hier, um ungebetene Gäste fernzuhalten, die Eltern wollten unter sich bleiben und schließlich sei der Stadtbezirk ja nicht nur Familien-, sondern auch Ausgehgegend. Er lacht wissend. Da hat Harry recht, hier kann nicht jeder rein. Aber wir.
    Gina und ich erklimmen die Treppen bis unters Dach, in der Schulkantine haben helfende Hände die Tische und Stühle an die Wände geschoben. Sofas und Nussschälchen suggierieren Lounge-Atmosphäre, aus den hinteren Räumen bollert Neunzigerjahre-Rock, grün-orange erleuchtet dreht sich die Discokugel unter der Decke. An der zur Theke umfunktionierten Essensausgabe gibt es Becks, Bionade und Brezeln. Für gehobene Ansprüche Cremant, den Prosecco dieses Jahrzehnts.
    Eltern sind auch da. Und zwar gar nicht so wenige. Ich sehe Anzugmänner und Stiefelfrauen in Bürokluft, Lesebrillen und graues Haar. An der Fensterseite hat sich eine iPhone-Gruppe gebildet, deren Mitglieder entweder den Babysittern fernmündlich letzte Instruktionen erteilen oder noch dringende Geschäfte zu regeln haben. Also alles in allem ein musikuntermaltes Stehrümchen, wie man sie auch von Vernissagen und Betriebsweihnachtsfeiern kennt. Ein casual Friday der Turboelterngeneration.
    Einige der Männer und Frauen kenne ich aus Funk und Fernsehen, sie sind Journalisten, Schauspieler, Buchautoren, Maler. Und die da hinten mit der sehr auffälligen Vintagebrille – ist das nicht die Hauptdarstellerin einer gar nicht mal so üblen Vorabendserie? Ja, sie ist es. Mein Provinzlerherz hüpft vor Freude über die Möglichkeit, diese wichtigen Eltern und Kulturschaffenden quasi in freier Wildbahn beobachten zu dürfen.
    Gina ist in Gespräche vertieft, und ich nutze die Gelegenheit, mich mal wieder zu »Losing my Religion« von REM zu drehen. Als gleich darauf ein Engtanzsong erschallt, trolle ich mich von der Tanzfläche. Und wen sehe ich? Einen alten Schulfreund, fast hätte ich ihn nicht erkannt mit seinem Ralph-Lauren-Hemd und der Gelfrisur. Er weiß auch erst mal überhaupt nicht, wo er mich einordnen soll. Es fängt gerade an, peinlich zu werden zwischen uns, da schickt er sich doch noch an, sich über unser Wiedersehen zu freuen.
    Was ist aus ihm, dem Ostler, geworden? Chris ist viel rumgekommen in der Welt, gerade ist er von Vancouver nach Berlin gezogen, um nun hier zu arbeiten. »Und was machst du?«, frage ich. »Ich versuche, die Welt zu einem besseren Ort zu machen«, antwortet er und drückt auf seinem iPhone einen Anruf weg. Weil ich einen Scherz vermute, grinse ich verständnisinnig. Aber es ist kein Witz, Chris baut in der Hauptstadt gerade eine wichtige Stiftung auf, und wenn sein Sohn, der ja hier Schüler ist, ihn fragt, was er im Unterricht über den Job seines Vaters sagen soll, gibt er ihm die gleiche Antwort: Sag ihnen, dein Vater versucht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. »Tja«, sage ich zu Chris, »ich schreibe nur Texte und hoffe, dass die Leute sie lesen.« »Das ist auch okay«, beruhigt er mich. Wir tauschen unsere Visitenkarten aus und versprechen uns, uns nicht mehr aus den Augen zu verlieren, das Übliche.
    Ich kaufe mir ein Bier, kralle eine Hand voll Nüsschen und stelle mich wieder zu Gina. Sie erörtert mit einer Mitmutter die noch gar nicht so lange zurückliegende Schülerdisco der Mittelstufe. Dort, so höre ich, habe es einige Verwirrung bezüglich des Dresscodes gegeben. Weil die Schulleitung die Jugendlichen zuvor nicht ausreichend informiert habe, seien einige Eleven in Ballkleidern und Anzügen erschienen, andere – auch die Tochter der Mitmutter – in Jeans und T-Shirt. Eine atmosphärische, ja kulturelle Kluft habe sich an diesem Nachmittag aufgetan zwischen denen, die einfach nur mal rocken wollten, und denen, die die Tanzveranstaltung als Anlass sahen, an ihrem stilgerechten gesellschaftlichen Auftritt zu feilen.
    Traurig sei ihre Tochter nach Hause gekommen, erzählt die Mitmutter und nimmt einen Schluck Bier. Denn am Schluss der Disco seien überraschend die fünf besten Outfits prämiert worden. Wer sich also brav in ein Abendkleid gezwängt und die jungen Füße in Riemchensandalen gesteckt hatte, wurde dafür belohnt. »Was waren das denn für Preise«, frage ich. Es stellt sich heraus, dass die Kinder iTunes-Gutscheine geschenkt bekommen haben, mit denen man auf sein iPhone Musik oder Spiele laden kann. »Wahnsinn«, sage ich, »das würde ja bedeuten, dass jede und jeder

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