Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
Halbwüchsige an dieser Schule ein Apfeltelefon haben muss.« »Ja«, sagt die Mitmutter, »das bedeutet es, und deshalb hielt sich die Trauer meiner Tochter auch in Grenzen – sie hat nämlich keins. Jedenfalls noch nicht.«
Kein Wunder, denke ich auf dem Nachhauseweg, dass die Glücksbezirkseltern nicht gerade krachende Partys feiern. Die müssen sehen, wie sie die monatlichen Raten für die Telefone ihrer Kinder erarbeiten. Was kommt als Nächstes? Werden bald Obligationsscheine für gutes Aufessen ausgeteilt, Bauhauslampen oder ein Mies-van-der-Rohe-Sofa für eine Eins in der Klausur, und bei bestandenem Abitur wird das Wohneigentum übertragen? Es ist wirklich nicht leicht für Eltern, gut drauf zu sein.
T inas und Lydias Klub oder
A m falschen Ende der Schönhauser
E s ist ein lauer Montagabend, ich befinde mich am falschen Ende des Prenzlauer Bergs. Hier, wo die Schönhauser Allee gen Norden kippt, ist die Welt noch normal. Also so normal wie überall dort, wo ein Gemisch aus vielen und vielem das Straßenbild dominiert: Männer, Frauen, Kinder, Alte, Junge, Arme, Reiche, Migranten, Penner, Zeigefrauen und Checkerjungs. Es gibt normale Geschäfte wie Bäcker und Fleischer, Zeitungskioske und Pfennigläden. Dazwischen findet man Sportbars, Wettbüros, verrauchte Kneipen und Discounter. Das hier ist auch der Prenzlauer Berg, aber er ist nicht aufgeräumt.
Tina wohnt Parterre. Als sie mir die Tür ihrer Zweizimmerwohnung öffnet, schlägt mir jene ziegelige Kälte entgegen, die solch klamme Erdgeschossbutzen wohl nie verlieren. Es ist acht Uhr abends, Tina ist gerade erst von der Arbeit nach Hause gekommen. Ihre fünf Jahre alte Tochter ist auf Kitareise und braucht deshalb heute keine Gutenachtgeschichte. Darum passt es auch so gut mit uns beiden. Wir wollen uns darüber unterhalten, wie es ist, alleinerziehend und finanziell klamm zu leben in einem Stadtbezirk, in dem Familie das erstrebenswerte Ideal zu sein scheint, das so gern präsentiert und zum Maßstab gemacht wird.
Natürlich ist dieses Mutter-Vater-Kind-Ideal so unsinnig wie jedes Klischee. Ein Viertel der Familien im Prenzlauer Berg werden von Alleinerziehenden gemanagt, jedenfalls ist das die Statistik. Aber Tina ist wirklich eine Frau, die allein ist mit Kind. Die keinen Mann hat, keinen alimentierenden Vater oder Eltern mit Geld. Die alles selber macht. Und trotzdem höre ich kein Wort des Jammerns von ihr. Im Gegenteil, wir haben einen lustigen Abend, voller bösartigem Tratsch.
Tina ist viel rumgekommen. Sie stammt aus Niedersachsen, hat als Reiseverkehrsfrau tatsächlich die ganze Welt gesehen und überall gefeiert, lange hat sie in England und Frankreich gelebt. Sie war vierzig, als sie schwanger wurde, und bekam das Kind. Dass der Vater, ein Franzose, längst nicht mehr mit von der Partie ist, ist ihr recht: Sonst hätte sie sich gleich auch noch um den kümmern müssen, nee! Kurz nach der Geburt, vor fünf Jahren, zog Tina nach Berlin. Ohne Wohnung, ohne Job, aber mit Kind. Dass die deutschen Ämter es ihr, der Frau aus dem Ausland, mit ausgefeiltem Antragshorror schwer gemacht haben, würde sie so nicht formulieren, Tina sagt: »Ich dachte: Hallo?! Liebe Leute, wir sind hier in Europa!«
Mittlerweile hat sich alles eingepegelt, sie hat eine halbe Stelle in einem Reisebüro, sie hat eine kleine, kalte Wohnung und ein wunderbares Kind. Und sie hat sich hier in der Ecke ihren eigenen Kreis gesucht. Denn das ist ihr – zurück in Deutschland, im Prenzlauer Berg – gleich aufgefallen: dass es hier eine Art »familiären Gruppenzwang« gibt, eine ausgestellte Lebensweise, in der offensiv gezeigt wird, dass und wie man alles richtig macht. Und zwar so massiv, wie sie das nirgends auf der Welt bisher erlebt hat. »Richtig angezogen sein, das Richtige essen, richtig stillen – das ist definitiv nichts für mich«, sagt sie.
Neulich hat Tina an einer Ladentür ein Buggy-Verbotsschild entdeckt. Zufahrtsverbot im Kinderbezirk? Über so etwas lacht sie, denn sie fühlt sich damit nicht gemeint. Im Gegenteil, sie lästert über die Frauen, die mit den Tausend-Euro-Karren durch den Prenzlauer ziehen: »Die schieben ja kein Kind, die schieben da ’nen Goldbarren.« Und Goldbarren besitzt sie nicht. Wir knacken uns zwei Bierchen, und aus dem Nachbarhaus kommt Tinas Freundin Lydia herüber. »Du schreibst ein Buch? Frag mich! Ich komm von hier.«
Die lautstarke Frau mit den großflächigen Tattoos ist als Kind mit ihren Eltern ausgereist, vor
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