Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
sechs Jahren ist sie zurückgekommen in den Prenzlauer Berg. Sie ist jetzt dreißig, hat zwei Kinder von zwei Männern und fühlt sich sauwohl am falschen Ende der Schönhauser. Hier wird noch berlinert, das ist für sie wichtig. Lydia ist Erzieherin, mit einer Freundin hat sie eine Kita für Kleinkinder eröffnet. Um vier Uhr schließen sie, da hat sie rechtzeitig Feierabend, um ihre dreijährige Tochter abholen zu können, ihr Sohn ist schon neun und geht allein vom Hort nach Hause. Alles geht, wenn man will.
Lydia und Tina sagen, dass sie zu spät hierher gezogen sind. Zu spät, weil die Party, die hier im Prenzlauer Berg mal abgegangen ist, längst vorbei ist. »Hier konnte man früher abstürzen«, schimpft Tina, »heute haben die Leute alle einen Stock im Arsch. Ab zehn ist hier Schicht, nix mehr los. Haben die keinen Bock mehr auszugehen, oder was?« Traurig für Berlin, finden die beiden das. Sogar im Prater, dem riesigen alten Biergarten, wird jetzt früher die Musik runtergedreht – überall Leute, die sich beschweren! Tina und Lydia vermuten, da jammern genau jene, die hier noch vor zehn Jahren gröhlend durch die Straßen gezogen sind, Bier und Kippe in der Hand – dit is Berlin! Heute haben sie Kinder und wichtige Jobs und finden deshalb, dass es mal genug ist mit dem ganzen Lärm in der Stadt.
Lydia und Tina machen das jetzt anders. Wenn sie ausgehen, schettern sie rüber nach Mitte – »Mitteschnitten schubsen«. Dort sind noch Reste von Nachtleben vorhanden, wenn auch sehr touristisch. Die Leute, die da leben, sind tatsächlich ein bisschen anders gestrickt: reicher, stylisher und vielleicht wegen der Weltläufigkeit auch ein bisschen toleranter. Ach, Berlin! Man darf gar nicht drüber nachdenken, dass zwischen dem einstigen Ausgehbezirk Prenzlauer Berg und dem rudimentär noch vorhandenen in Mitte gerade mal zweitausend Meter liegen. So klein und verkiezt ist diese Stadt.
Tina und Lydia jedenfalls gehen jetzt einfach runter nach Mitte, sie gehen in einen Club oder auf eine Ausstellungseröffnung und praktizieren eine schöne Sitte, die Tina aus den englischen Pubs mitgebracht hat: die Cocktailrunde. Sie trinken ein Bier, kurven anschließend los durch den Laden und trinken herrenlose Gläser aus. Das macht Spaß und spart. Anschließend stellen sie sich an die Theke und beobachten, wie die anderen Gäste in ihr leeres Glas schauen. Spitzenwitz! finden sie.
Es muss halt ein bisschen krachen. Denn ansonsten sind ihre Leben ja ziemlich durchorganisiert. Die Jobs, die Kinder, die Männer. Auf die Frage, was sie glücklich macht, sagt Lydia: »Trash- TV , Big Brother gucken, kostet nix und entspannt mich komplett.« Ich schreibe das mit und finde Lydia unglaublich cool.
Sie kriegen alles hin, ganz einfach. Ohne Masterplan, ohne Karriereknick, einfach mit Freude am Leben. Ist es tatsächlich so einfach? »Du musst schon deinen Arsch bewegen, Netzwerke knüpfen. Und dich fernhalten von den Kollwitzplatztussis – die machen nur Druck«, sagt Tina. Die beiden haben sich bei einer Krabbelgruppe für Babys Alleinerziehender kennengelernt. Sie sind da hingegangen, obwohl sie dachten: Was für ein Gesabbel wird das da werden, die werden nur über Kinder quatschen. Aus der Zweckgemeinschaft von vor fünf Jahren ist inzwischen ein eingeschworener Klub geworden, dem noch viele andere Frauen angehören. Einer, in dem nicht die Prenzlauer-Berg-Gesetze herrschen. Einer, dessen Mitglieder gar nicht erst bis zum Kollwitzplatz vorstoßen.
Sie treffen sich nachmittags hier, am falschen Ende des Prenzlauer Bergs, nach der Kita auf dem Spielplatz. Sie quatschen, sind vernetzt. Und sie trinken Bierchen in der Nachmittagssonne. Sie sind bewusst anders als jene Macchiatomütter, von denen sie finden, dass die zwar ganz sympathisch aussehen, aber einander nur argwöhnisch beäugen und dabei ihre Kaffeebecher nervös in den Händen drehen. »Stempelkärtchen-Mütter« nennt Lydia sie wegen der Rabattmarken, die sie für den Macchiato kriegen. Sie tun ihr leid. Und dann rauchen wir zusammen eine Tüte und lassen diesen witzigen und ehrlichen Abend ganz entspannt ausklingen.
V ergesst es! oder
S chreifolter im öffentlichen Raum
N ur wenige Meter rechts aus der Haustür befindet sich das Café meiner Wahl. Gelegen zwischen Thai-Restaurant und Retrochick-Möbelladen herrscht da eine für diese Gegend geradezu erwachsene Ruhe und Gelassenheit. Der Wirt, ein kleiner drahtiger Kerl, braut guten spanischen Kaffee in für
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