Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
über die Fendi-Sonnenbrille im schütteren Grauhaar, über den steifen Rücken beim Bücken und die eher geringe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mann noch die Abiturfeier seines Sprösslings erlebt. »Geht’s ein bisschen leiser«, mahne ich Sibylle, »die Leute gucken schon.«
Tatsächlich hat sich im Prenzlauer Berg im Zeugungsbereich die Altersgrenze sichtbar nach oben verschoben. In den Straßen und Cafés, auf Spielplätzen und Biomärkten schieben zahllose graugelockte Spätbeglücker ihren Nachwuchs in sehr teuren Kinderwagen durchs Gedränge. Männer um die fünfzig, die sich eine Dreißigjährige geangelt haben, um die Vaterschaft »noch mal richtig zu genießen«, wie dieser Lebensentwurf in Zeitungen und Zeitschriften wortreich umkränzt wird. Ja, das sollten sie auch. Denn lange wird das späte Glück nicht dauern – es sei denn, diese Männer gehören dem Klub der Hundertjährigen an oder die Medizinforschung wirkt endlich und ausdrücklich für sie ein Wunder.
Sibylle hat mit ihrer Tirade insofern recht, als ich diese Männer auch ziemlich unsexy finde, im absoluten Gegensatz zu jüngeren Vätern, die auf Spielplätzen mit dem MacBook auf dem Schoß an ihrem Caffè Latte nippen, dem Nachwuchs beim Sandessen zuschauen und ganz nebenbei sicher eine sehr interessante Masterarbeit über Genderthemen tippen. Und wenn sie nach Hause kommen, kochen sie was Leichtes aus der Fusion-Küche und haben spätabends noch sensationellen Sex mit der Kindsmutter. Ja, so etwas denken Frauen, die ihre Tage auf dem Spielplatz zubringen. Da gucken sie dann rüber und vergleichen diesen smarten Alleskönner mit ihrem eigenen Exemplar daheim. Sie können ja nicht wissen, dass der junge Mann der schwule Nachbar einer alleinerziehenden Mutter ist, die ihn gebeten hat, ein paar Stunden auf Karlchen aufzupassen, weil es auf dem Arbeitsamt immer so lange dauert.
Solche Irrtümer entstehen auch leicht, wenn man sich die wackeren, oft irritierend pausbäckigen späten Väter ansieht, die im urbanen Raum umherstreifen. Das Ganze riecht nach Geld, nach Sicherheit für Frau und Kind, nach Lebenserfahrung und Manufactum-Katalog. In Wirklichkeit sind es oft Männer, die sich hier mal eine Stunde mit ihrem Nachzügler im öffentlichen Raum zeigen, um spätestens gegen neun Uhr abends über einem Coffeetable-Book mit Juergen-Teller-Fotografien wegzuschnarchen. Ich bin kein Mann, aber ganz ehrlich, ein Tag mit kleinen Kindern und vielleicht noch eine drangehängte Nacht mit Schreialarm machen auch mich komplett fertig. Das ist einfach nichts mehr für Leute meines Alters, und ich denke, die späten Väter bilden da keine Ausnahme.
Kinder zu haben ist eine anstrengende Angelegenheit. Eine befriedigende auch, ja. Aber ist man mit fünfzig noch bereit und in der Lage, tagelang dieselbe Benjamin-Blümchen- CD aus dem Kinderzimmer jaulen zu hören? Ist es wirklich gar nicht schlimm, wenn Klein-Ida oder Paulchen mit ihren Wachsmalstiften die Ligne-Roset-Couch bemalen und mit ihrer kleinen Patschehand das iPhone vom Tisch wischen? Tut mir leid, ich glaube das einfach nicht. Da können in Elternmagazinen noch so viele Graubärte behaupten, die Zeit mit dem kleinen Spätspatz sei der großartigste Jungbrunnen, den es gebe, das Beste, was sie tun konnten – jetzt, wo sie sich beruflich nicht mehr beweisen müssen.
Ich denke, das sind alles nett gemeinte Lügen. Wer bestimmt denn, dass Erwachsene über fünfundvierzig nichts mehr vorhaben dürfen im Job? Und wer sagt denn, dass sie in diesem Alter tatsächlich ausgesorgt haben und nun quasi nur noch die Golddukaten in den geliebten Nachwuchs investieren wollen? Was ist mit Altersarmut? Was mit Erschöpfung, Prostatakrebs und verdammt stillen Nächten im Doppelbett? Davon wird fein geschwiegen.
Am schlimmsten stelle ich mir die familiäre Situation vor, wenn der oder die Spätgeborene in die Pubertät kommt. Diese Jahre sind schon für jüngere Eltern eine Kraftprobe. Das Kind, eben noch ein liebevoller Kuschelking, mutiert zum schweigenden Stinker, der das Bad blockiert, um sich dort Pickel auszudrücken. Oder Schlimmeres. Eltern sind in dieser Zeit die natürlichen Feinde des Adoleszenten. Und jede Generation denkt sich – mal abgesehen von Standardprovokationen wie lauter Musik, nicht wetterentsprechender Kleidung oder Maulerei – was Neues aus, um die Alten zu überraschen. Wer weiß denn schon, was diese vielversprechenden Kleinkobolde in zehn Jahren ihren greisen Vätern
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