Lasst eure Kinder in Ruhe
ein wenig traurig ist, ist Liebe. Jedenfalls schaut man sein Kind, das inzwischen vielleicht eine 13-jährige, zickig pubertierende Göre geworden ist, danach mit anderen Augen an. Gerade wegen dieser Traurigkeit, oder nennen wir sie bescheidener: leisen Melancholie.
»Ach, du bist das, ich erinnere mich, jetzt sehe ich dich auf einmal anders.« Den trotzig verzogenen Mund, das charmant verlorene Betteln, wenn Papa sich beispielsweise beim Streit um die Disco-Zeit am Samstag wieder mal leichter umstimmen lässt als die Mutter: Ich sehe auf einmal wieder unseren Spielplatz in deinem wohlkalkulierten Teenagerblick. Du kannst mich nicht täuschen, jeder Augenaufschlag, wahrscheinlich zigmal vor dem Spiegel ausprobiert, ist ein einziges Täuschungsmanöver, aber dahinter ist etwas ganz anderes, zum Beispiel unser Spielplatz und die vielen Stunden, die wir beide fast vergessen hätten. Noch in deiner Trickserei und
Papas sentimental aufschwellendem Herz und seiner Nachgiebigkeit ist viel mehr als nur Schwäche oder Konfliktvermeidung oder sonst was psychologisch Erklärbares, nämlich Liebe!
So schöpfen wir Mut zur Erziehung – zugleich mit dem liebevollen Herumklettern und abenteuerlichen Suchen des Vorschulkindes nach der Welt der Menschen und Dinge. Alles hängt zusammen. Ein gutes Lernen, ein sinnlich-sinnhaftes Lernen statt eines gelenkt-dressierten im Vorschulalter hat Auswirkungen darauf, wie die Pubertät dieses Kindes überstanden wird, und zwar ganz direkte Auswirkung. Und wenn wir angesichts verwirrender ökonomischer und kultureller Weltläufe unserem Kind eigentlich nicht mehr zu sagen haben als ein Achselzucken: Wir wissen auch nicht mehr von unserer und deiner Zukunft als du, mein Sohn, du, meine Tochter.
Ich will nur sagen: Zuversicht kommt aus dem Mut. Mut ist Liebe und Hoffnung. Beides ist schwierig geworden, wir wissen so wenig von der Zukunft und versuchen sie umso unerbittlicher in Beschlag zu nehmen – verfügbar zu machen, für uns und unsere Kinder. Und dann wird alles falsch, alles Reale zu einem Vorwand, Dinge und Menschen und Begebenheiten werden zu einem puren Lernmaterial, aus dem die Gefühle schon ganz geschwunden sind.
Können wir also unseren Kindern Zuversicht geben, Vertrauen auf sich selber und ihr Leben, also ihre Zukunft? Ja, das können wir. Aber ganz bestimmt nicht durch Frühförderung und auch nicht dadurch, dass wir ihnen ständig im Nacken sitzen und ihr Leben in verplante
»vernünftige« Ziele verpacken. »Ohne Abitur wird man heute doch nichts mehr, lass uns für den nächsten Mathe-Test üben, magst du?« So nicht. So stiften wir keine Zuversicht, bestenfalls gar nichts. Meist aber Angst.
Zuversicht hat etwas mit Liebe und Selbstliebe zu tun, jedenfalls bei Kindern, Jugendlichen auch. Die rufen wir als Eltern auf, wenn wir klug sind: jetzt und jetzt und wieder jetzt. Mit unserem Blick, manchmal sentimentalen Einschüben in den Regeln des Alltags, Unterbrechungen der Routine, oft ganz unabsichtliche, ganz unvorbereitete, fast zufällige Blicke, manchmal Worte: Ich liebe dieses Kind.
Wir müssen es aber gar nicht aussprechen. Die Kleinen und auch die gar nicht mehr so Kleinen merken es schon. Und »merken« es sich. So werden sie stärker, jetzt und für ihre Zukunft, die nicht mehr die unsere sein wird. Das ist Erziehung zum Guten.
In der Seele ist noch Platz ... lies mir was vor!
WAS FÜR EIN ABERWITZ: Da werden die Kinder zu Frühförderungen in Deutsch, Türkisch oder Russisch, manche in Chinesisch oder sonst was angehalten, und gleichzeitig entdecken etwa die Kinderärzte in einer Untersuchung der Krankenkassen und der Ärztekammer in Hannover 2010, dass 37 Prozent – ich wiederhole: 37 Prozent – der Kinder unter fünf Jahren noch nie – ich wiederhole: noch nie – vorgelesen wurde.
Gleichzeitig beobachten diese Kinderärzte und eine Reihe anderer Studien, dass die Spracherwerbsstörungen bei Kindern zunehmen. Eine statistisch valide Korrelation zwischen beiden Befunden ist schwer darzustellen, dazu sind die Spracherwerbs- und die Wahrnehmungsvorgänge beim Vorlesen wieder zu komplex. Aber wir brauchen solche Überfeinheiten und Übergenauigkeiten auch gar nicht.
Wem vorgelesen wird, wer aufmerksam auf Mamas Stimme hört, wer dabei den Klang der Worte einatmet und beim Abenteuer der Geschichte mitfiebert, der findet natürlich auch eine feinere Sprache, eine genauere Sprache in sich selbst, mindestens eine vollständigere Sprache. Es drängt sich der
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