Lasst eure Kinder in Ruhe
und Moral in das Kind« – müssen wir uns vollständiger als bisher vor Augen führen. Dann verstehen wir, was modernes Lernen auf den Schultern der zwei Geistesriesen Fröbel und Kant ausmacht.
Bildung muss eine Brücke sein
BILDUNG SOLL LEHREN, die Welt zu verstehen und zu fühlen. Das beginnt bei einem einzelnen, oft zufälligen Gegenstand. Ein Kind findet ihn, fummelt an ihm herum, zuerst unentschlossen, dann immer zielgenauer, als folge es einem Plan. Das ist aber nicht so. Es folgt zunächst einmal einer unwillkürlichen Intuition, ohne viele Überlegungen. Aber dann verändert es mit jeder Handhabung das Weltobjekt. An jedem zufälligen Gegenstand entdeckt es nun Anteile, die es auch von früher gelernten Gegenständen kennt. Es erkennt Zusammenhänge zwischen Objekt und Objekt. Und nun das Wunderbare: Indem es mit seiner ganzen Kreativität und Fantasie und Freude in die Eigenarten dieses Objekts eintaucht, wird dies ihm immer vertrauter. Ein und derselbe und doch ein anderer Gegenstand, ein inniger nun.
Alles drängt ins Vertraute, Halb-Bekannte, Halb-Erfasste. So stehen wir alle vor der Welt, nicht nur die Kinder. Die Welt liegt wie eine ungeheure Aufgabe vor uns. Es ist ein unabschließbarer Prozess. »Ein weites Feld …«, wie es bei Fontane in Effie Briest heißt.
Fröbel folgte Kant in seiner praktischen Lehre zu Gemeinschaft, Geist und Gewissen. Ungemein spannend ist es zu sehen, wie mit der Entwicklung der abendländischen Geistesgeschichte hin zur Aufklärung (und mit ihrem Ausstieg aus den »selbst verschuldeten geistigen Abhängigkeiten«, wie Kant proklamierte) eine hellere
Sicht auf die Kulturfähigkeit des Menschengeschlechtes fiel. Die düstere, schuldbelastete und geradezu in Orgien von Sühne und Buße schwimmende Bildwelt des mittelalterlichen Menschen zerbrach daran.
Der Ausstieg aus unnötigen Abhängigkeiten wurde bei Kant und Fröbel – ein gewaltiger Schritt in der abendländischen Geistesgeschichte – zur Leitidee der kindlichen Bildung. Individuelle Freiheit und moralische Verpflichtung: gleichzeitig, so dachten sie die menschlichen Bildungsprozesse. Davor waren geistesgeschichtlich beide Seiten strikt getrennt, in ein Subjekt, dem Kind, hier und ein Objekt dort, beide einander gegenüber – gerade so, als wären sie nur flüchtig zusammengebunden.
Fröbel widersprach dem, der Philosophie der Aufklärung folgend. So sei es eben nicht. Wenn man die Aneignung von Welt nachzeichnen will, dann muss man heute mit einem viel komplexeren Entwicklungsprozess rechnen – ihn zu begreifen, macht neben viel Mühe aber auch viel Spaß.
Schauen wir uns dies etwas konkreter an. Wir beginnen, einer großen philosophischen Tradition folgend, mit dem ganz Alltäglichen, Beliebigen, Üblichen.
Ein Kind vertieft sich in irgendeinen Gegenstand. Das kann, wie gesagt, ein ganz zufälliger sein, darauf kommt es nicht an. Es wird neugierig, denn alle Kinder sind immer auf alles neugierig. Es nimmt ihn an sich und dann beginnt es mit diesem Gegenstand zu hantieren, zu spielen, ihn zu drehen und zu erkunden. Zu explorieren, um auch einmal ein Wort aus den Fachbüchern zu verwenden.
Mit so viel Neugier und Kreativität macht es ihn schließlich zu seinem »eigenen« Gegenstand. Jetzt ist er ein für dieses Kind ganz besonderer Gegenstand geworden. Das zunächst Fremdartige wird immer vertrauter dabei. Fast so, wie der kleine Prinz sich die Rose in Saint-Exupérys Erzählung vertraut machte.
Dabei wird der reine Kinder-Egoismus aufgeweicht. Es geht nicht um ein besitzergreifendes Erkunden und Erfassen, sondern um einen fließenden, lernend erschaffenden Vorgang. Es lernt nicht stur und passiv, unser Kind, sondern schöpferisch. Es überschreitet sein selbstversponnenes Kinder-Ego.
Kant und Fröbel sagen: Der Mensch ist begabt dazu, sein Handeln und sein Schicksal, seine Wünsche und sein Wollen selbstkritisch zu überprüfen. Und er kann sich und sein Handeln auf die Gemeinschaft hin korrigieren. Kinder sind von Grund auf ebenso sehr soziale Wesen wie kleine hartnäckige Egos.
Das Ego auf der einen und das Gemeinschaftlich-Sittliche auf der anderen Seite – das war in der menschlichen Geistesgeschichte vorher nur eine grobe Aufteilung, wie ein Klotz. Mit Kant und der Aufklärung kam ein anderes Licht in das Spiel.
Kant durchbrach die gedankliche Sperre zwischen Ego und Gemeinschaft. Soziale Moral und individuelles Tun lassen sich nicht voneinander trennen, sagt er. Er entfaltet damit ein
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