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Lasst eure Kinder in Ruhe

Lasst eure Kinder in Ruhe

Titel: Lasst eure Kinder in Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Bergmann
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folgenden Kapitel mehr und genauer), dann die Entdeckung der Eigenarten der Welt. Und dabei die umwerfende Erkenntnis, dass man selber – das Kind mit seinem trotzigen Willen – doch letztlich ein gemeinschaftliches Wesen ist.
    Mal will unser Kind mit seinen Wünschen und Begierden ganz allein sein. Aber das ist ihm dann auch zu wenig. Danach will es unbedingt mit anderen Kindern zusammenkommen – sonst bleibt etwas in ihm unruhig und leer.
    Hier scheint sich also ein grundsätzliches seelisches Bedürfnis aufzutun, das wie das »Ich will haben« und andere Egoismen zur seelischen Grundausstattung eines Kindes gehört. Es will mehr sein und in anderen Zusammenhängen fühlen und spielen als immer nur im konzentrischen Kreis des Ego. Auch dies gehört zur Natur eines Kindes.
    Wie wichtig dabei die kleinen Dinge der Welt sind! In ihnen sammeln sich die kindlichen Erinnerungen. Sie
nisten in der Seele und sind doch zugleich Teil der äußeren Welt. Beides geht Hand in Hand.
    Zur Veranschaulichung erzähle ich eine kleine Begebenheit. Sie handelt vom Teddybär meiner Tochter, der auch so ein geheimnisvolles Objekt ist. Vollgestopft mit ganz innigen persönlichen Gefühlen und Erinnerungen eines Kindes und zugleich ein Objekt, an dem so viele schöne Spiele und anderes haften. Immer beides gleichzeitig, wie gesagt. Wir kommen den Dingen auf die Spur!
    Aber erst meine Geschichte.
    Der Teddy: Wer könnte diesem lausigen Stückchen Stoff, löchrig und verschmutzt, ansehen, dass sich in ihm so viele spannende Erfahrungen ansammeln. Liebeserfahrungen. Und Schmerzerfahrungen!
    Einmal nämlich war Teddy spurlos verschwunden, hatte sich einfach auf die eigenen Beine gemacht. Einen halben Abend heulte ein verzweifeltes dreijähriges Mädchen in unserer Wohnung, und Papa und ein gutwilliger Freund durchstreiften den Spielplatz, Meter um Meter. So ein kleines, unauffälliges Ding! Wir würden es, würden wir sein Geheimnis nicht verstehen, glatt in den Abfall werfen. Aber das haben wir nicht getan. Der Kummer des Kindes verriet uns, wie viel starke Gefühle in dem Stoff aufbewahrt waren. Der Teddy musste also gefunden werden!
    Und weil Liebesobjekte, die unbedingt gefunden werden müssen, dann auch tatsächlich wieder auftauchen, ging die spätabendliche Suche gut aus. »Da ist er ja!« (Wer weiß, ob es nicht zuletzt doch eine ganz magische Kraft war, mit der er sich in Bewegung setzte: »He Leute,
hier bin ich. Steckt eure Taschenlampen weg, ich bin wieder da!« Ja, manchmal glaube ich, da webt eine eigene Kraft in diesen leichten und flüchtigen und bedeutungsschweren Dingen wie einem Teddy, aber ich weiß natürlich, dass das ganz unerwachsenes Denken ist. Die Kinder lieben es übrigens, und ich auch!) Teddy war wieder da, noch ein bisschen wässriger und unansehnlicher als zuvor, aber ganz klar ein Beleg für die unsterbliche Kinderliebe. War das ein feierliches Wiedersehen!
    Beim Betrachten dieses seltsamen Liebesobjektes fallen uns gleichzeitig viele gemeinschaftliche Erinnerungen ein. In diesem »Ding da« nisten ja so viele kommunikative, verspielte, lachende und streitende Erinnerungen! Drehen wir die Erinnerungen so herum und wieder andersherum, immer sind beide Wirklichkeitsanteile präsent: das Eigene und das Gemeinsame. Immer wird im Kind beides aufgerufen: die innerste Fantasietätigkeit und das Erinnern an gemeinschaftliches Tun. Das kann man gar nicht trennen, ein Kind will das auch nicht. Es ist ja auch fast ein und dasselbe.
    Der Teddy und all die anderen vielen Sachen, die so in der Welt herumliegen, haben diesen Charakter – »solitaire und solidaire«, »einsam und gemeinsam«, wie Camus schrieb.
    Unser Kind mit seinem kleinen Ich – es weiß zwar nicht, fühlt aber, dass es, wenn es gegen das Gemeinsame verstößt, etwa durch Rohheit oder sture Egozentrik usw., zugleich gegen sich selber, seine innersten Bindungen verstößt. Kein Kind will das.
    Und nun wollen wir also verstehen, wie die Welt der
Sachen und der Menschen und die Welt der Gefühle zusammenfließen. Wie werden sie eins, einig? Warum zerreißen sie uns nicht, stehen sie doch in unserer Psyche zunächst einmal ganz fremd nebeneinander? Was ist das für eine geheimnisvolle Kraft, die aus dem Kinderleben spricht und das Eigene und das Gemeinschaftliche verteidigt – und unbedingt das Besondere/Eigene bewahren will und das Gemeinschaftliche auch?
    Diesen bewundernswerten seelischen Vorgang – »Ach ja, so kommt die Welt mit Sachen und Menschen

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