Lasst eure Kinder in Ruhe
andere trifft die Lebenswelt von Kindern nicht mehr, das war schon vor 200 bzw. 150 Jahren so. Es hat sich seither nicht viel geändert. Paradoxerweise müssen wir tatsächlich auf diese eigentlich ja »alten« Konzepte von Bildung und Lernen zurück, wenn wir uns nicht auf überalterten Irrwegen weiter bewegen wollen, die in der nur scheinbar modernen Wissens- und Förderpädagogik seit einigen Jahrzehnten vorherrschen. Wir waren schon einmal viel weiter!
Fröbel ist das, was die moderne Pädagogik uns heute zu sagen hat. Inzwischen werden seine Erfahrungen breit bestätigt. Die Gehirnforschung und die Verhaltensexperimente der Psychologie, die Tiefenpsychologie und die Bindungsforschung – sie kommen alle zu demselben Ergebnis.
Seine für uns hier wichtige These: Das ganz und gar
Individuelle, auch das eines Kleinkindes, ist bereits auf Gemeinschaft gerichtet. Insofern hatte Kant wie Fröbel nach ihm eine Bildung vor Augen, die nicht formalistisch erstarrt ist, sondern wirklich »auf das Leben vorbereitet«. Und wie? Indem sie ein Kind seinem eigenen Reifen überlässt und ihm dabei nur ein wenig helfend und tröstend zur Seite steht.
Wir vergrößern einmal unsere philosophisch-pädagogische Brille, dann fällt uns auch auf, warum das so einfach tönt und trotzdem gar nicht so leicht zu verstehen und zu machen ist.
Dieses Gemeinschaftliche, das Soziale: Es ist tatsächlich so, die Kleinen haben von Geburt an auch die »soziale Natur« in sich. Früher galten Kinder als störrische Wesen, die man einspannen und dirigieren muss. Nur so könnten sie Gemeinschaftsgeist, gemeinschaftliche Gefühle, Disziplin und dergleichen entwickeln. Das ist aber ganz falsch. Dieses Soziale im Leben – die Kleinen wissen schon, was sie damit anzufangen haben! Es ist ein genetisches und psychisches Wissen, tief in ihnen angelegt. Man kann es hervorlocken, aber leider auch zuschütten und wegdrängen. Das ist wohl das, was derzeit in der Förderpädagogik vor allem geschieht.
Gene und Psyche stecken tief in den Reifungsvorgängen der Kinder im Vorschulalter, besonders der ersten drei Jahre. Dies zu erschließen wäre mit der Betonung auf Planung und Vernunft nie gelungen. Nein, gute Bildungstheorie hat tiefere Wurzeln.
Wir dürfen uns große Denker nicht eng rational verkürzt vorstellen. Gerade Kant hatte ein inniges Verständnis für das Weltgeheimnis, das die menschliche Existenz umhüllt. Bei der Betrachtung des unermesslichen Himmels, der sich über ihn spannt, und dem Abgrund der Seele in ihm, werde er, so schrieb er, überwältigt vom Unaussprechlichen der menschlichen Existenz: »Nein, ich erfasse dies alles, was sich in mir und über mir bildet, nicht, kein Denken und keine Sprache reicht so weit.«
Kants radikales Denken geht an die radix, an die Wurzeln, es ist beharrlich und schweigt, wo die Sprache nicht mehr hinreicht. Wir merken schon, dass eine ewig unermüdlich plappernde Bildungsdebatte in Politik und Wissenschaft, die Tag für Tag neue Konzepte hervorbringt, sich an solcher Ernsthaftigkeit nicht messen kann. Kants Denken lässt sich jedenfalls nicht auf fertige Methoden und abgerundete Denkmodelle einschrumpfen, wie sie in der Frühförderung vorherrschen.
Kant war ein Grenzüberschreiter. Er erfasst die seelischen und charakterlichen Wirklichkeiten der Menschen in großen, umfassenden philosophischen Begriffen. Alles Wahrnehmen und Lernen baut auf innere Gewissheiten, sagt Kant. »Innere Gewissheiten« – dieses sprachlich schöne Wortbild bezieht er auf die ganz frühen Entwicklungsphasen eines Kindes, also auf jene Lebenszeiten, die ein Kind durcheilt, bevor es Sprache und vernünftiges Erkennen der Welt und der Menschen und Dinge ausbildet.
Aber Gewissheiten? Was meint er damit?
Kant spricht zuerst vom innigen Vertrauen, das Kinder
ursprünglich auf ihre Mütter und Väter richten und das sich im Lauf ihrer Entwicklung immer weiter festigt. Je mehr Vertrauen, desto unerschrockener und eifriger ihr Blick auf die Welt, ihr Aufnehmen und Aufsagen dieser vielen Weltdinge und ihrer Eigenarten. »Dies hier ist mir bekannt, das da ist ganz fremd, da schaudere ich zurück, dies allerdings kommt mir ähnlich vor wie andere schöne Dinge, die ich schon kennengelernt habe. Hier traue ich mich, ein zweites und drittes Mal hinzusehen und hinzugreifen, zu tasten, zu erkunden und zu spielen. Und danach ist das fremde Ding gar nicht mehr so fremd, schon fast vertraut, ein Stück innerer Gewissheit.«
Aber dann
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