Lasst Kinder wieder Kinder sein - Winterhoff, M: Lasst Kinder wieder Kinder sein
den Bereich Wirtschaft anführen, in dem es für die Beschäftigten heute kaum noch Sicherheit zu geben scheint, ob sie morgen noch den Job haben, den sie heute ausüben, bzw. ob sie überhaupt noch einen Arbeitsplatz haben. Im Gespräch mit BMW-Personalchef Harald Krüger, dem jüngsten Vorstand aller Zeiten beim bayerischen Autobauer, kommt das gut zum Ausdruck.
Harald Krüger ist sehr wohl bewusst, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt keine kleinen sind. Er spricht beispielsweise
über die Internationalisierung, die bei den Mitarbeitern neben Karrierechancen auch für eine gewisse Angstproblematik sorge. War früher ein Job bei BMW fast ein wenig wie eine Verbeamtung, so hat sich heute im Hinblick auf das Sicherheitsgefühl des einzelnen Mitarbeiters sehr viel geändert. Es gebe durchaus die Beobachtung, dass immer wieder Mitarbeiter verunsichert seien, da sie heute immer größeren Wechselwirkungen ausgesetzt sind. Die Dynamik der Veränderung habe stark zugenommen, Krüger formuliert das in klaren Worten: »Nichts ist und bleibt, wie es noch gestern war.«
Angesprochen auf angstmachende Prozesse in der Wirtschaft und die Frage, wie dem entgegengewirkt werden könne, verweist Krüger auf den Versuch, innerhalb der Firma familiäre Strukturen zu etablieren. Werte stehen im Vordergrund, auf die man sich verlassen könne, solch ein stabiles Wertegerüst sei dann auch als Gegenpol zu einer immer instabileren Gesellschaft zu verstehen. Gleichzeitig ist ihm allerdings bewusst, dass Unternehmen heute nicht mehr wie früher als eigene kleine Biotope zu führen sind, die innerhalb ihrer Grenzen Sicherheit bieten. 6
Die Wirtschaft ist ein Bereich, in dem wir durch das Wegbrechen von Sicherheiten eine starke Verunsicherung der Menschen beobachten können. Ein anderes Problem neben der Sicherheit ist das blinde »mehr-mehr-mehr« im Bereich der Waren und Dienstleistungen. Die Überproduktion ohne Sinn und Verstand hat ebenfalls ihre Auswirkungen auf das menschliche Verhalten.
In einem noch viel stärkeren Maße verändert hat sich allerdings der Bereich der menschlichen Kommunikation, die Quantität und Qualität von Informationen, die medialen Wege, auf denen Information vermittelt wird, mit zum Teil katastrophalen Auswirkungen auf die Empfänger, also letztlich auf uns alle.
Das Ziel meiner Analyse ist dabei weder eine generalisierende Medienschelte noch die Forderung eines Rollbacks in Zeiten von drei TV-Programmen und zwei Tageszeitungen. Ausgehend vom Status quo der heutigen Medienwelt und der Wirtschaft soll vielmehr gezeigt werden, wie sich die menschliche Psyche unter dem Eindruck des Informations-und Konsum-Overkills verhält und wie Erkenntnisse gewonnen werden können, um zurück zu einer Form von Intuition und innerer Ruhe zu finden. Wir alle brauchen diese innere Ruhe, weil sie für ein angemessenes Verhalten in menschlichen Beziehungen, gerade auch zu Kindern und Jugendlichen, unerlässlich ist. Wer ruhig ist, sich ganz »bei sich selbst« fühlt, kann intuitiv richtig handeln, weil er sich von äußerem Druck viel seltener zu Fehlhandlungen verleiten lässt. Mit Intuition ist dabei der Ausgangspunkt ruhigen und sinnvollen Handelns gemeint.
Nun ist es nicht so, dass es keine mahnenden Stimmen gäbe. Der Buchmarkt ist voll von Ratgebern und Analysen, die den Überfluss geißeln, zur Bescheidenheit mahnen und uns darauf hinweisen, dass bisweilen weniger mehr sein kann. Sogar ein eigenes Lexikon gibt es für diese Erkenntnis. 7 Auch in den allwöchentlichen Talkrunden im TV findet
sich eigentlich immer einer, der den Zeigefinger hebt und das warnende »Mäßiget euch!« verkündet.
Gleichwohl: Passiert ist bisher wenig. Wenn das Buch ausgelesen, der Fernseher ausgeschaltet ist, verfallen wir schnell wieder in den alten Katastrophentrott, selbst wenn wir die gerade vorgebrachten Argumente der Warner eigentlich ganz einsichtig und attraktiv fanden. Es kann also nicht nur um unsere Erkenntnisfähigkeit gehen, das Problem scheint auf einer rein verstandesmäßigen Ebene nicht endgültig lösbar zu sein. Deswegen begreife ich selbst mich auch nicht als Mahner, sondern versuche, über meine Analyse Ansatzpunkte zu Auswegen aus der Krise zu liefern.
An manchen Stellen gebe ich vielleicht sogar ganz ähnliche Hinweise wie andere Autoren, die ich soeben erwähnt habe. Es gibt überall Möglichkeiten der Entschleunigung, die es wert sind zu bedenken, ob man sie anwendet. Mir geht es jedoch zuallererst um die
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