Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
vorhaben.« Sie atmete scharf durch die Nase ein.
»Erzählen Sie es mir.«
»Diese Stadt wird zu einem Schlachthaus, und Ihr Junge marschiert mitten hinein.«
Mein Magen verkrampfte sich vor Angst.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich weiß, was bevorsteht.«
»Was hat das mit meinem Neffen zu tun?«
»Ich brauche Geld, und ich brauche Schutz.« Ihre Stimme klang jetzt kräftiger.
»Sagen Sie mir, was Sie wissen.«
»Erst wenn ich bekomme, was ich will.«
»Ich habe nicht die Befugnis, das zu entscheiden.«
»Sie kennen Leute, die sie haben.«
»Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen«, sagte ich. »Aber ich muss wissen, ob mein Neffe in Gefahr ist.«
Schweigen. Dann: »Scheiße, ich bin sowieso schon tot. Treffen Sie mich in zwanzig Minuten in der U-Bahn-Station Guy. Auf dem Bahnsteig Richtung Westen.«
Ihre Stimme war bleiern vor Resignation.
»Ich warte zehn Minuten. Wenn Sie zu spät kommen oder jemanden mitbringen, bin ich weg, und der Junge ist dann nur noch eine Fußnote, wenn diese Geschichte aufgeschrieben wird.«
Tote Leitung.
Ich rief Claudels Piepser an und hinterließ meine Nummer. Dann starrte ich das Telefon an und überlegte, welche Möglichkeiten ich hatte.
Claudel war unerreichbar. Seinen Rückruf konnte ich nicht abwarten.
Quickwater.
Dasselbe.
Claudel hatte mir nicht befohlen, die U-Bahn zu meiden. Ich würde mich mit Jocelyn treffen und ihn anrufen, sobald ich die Informationen hatte.
Ich tippte die Nummer der Carcajou-Zentrale in mein Handy, drückte aber nicht auf Senden. Dann steckte ich das Gerät in meine Handtasche und stürzte zur Tür.
Jocelyn saß am Ende des Tunnels, eine Leinentasche auf ihrem Schoß, eine zweite zu ihren Füßen. Sie hatte sich für eine Bank an der Wand entschieden, als würde der Beton im Rücken ihr ein bisschen Schutz vor dem bieten, was sie fürchtete. Ihre Zähne bearbeiteten den Daumennagel, während sie die Wartenden zu beiden Seiten des Gleises musterte.
Sie entdeckte mich und folgte mir mit ihrem Blick. Ich hielt mich in der Mitte des Bahnsteigs, und mein Puls dröhnte lauter in meinen Ohren als jeder Umgebungslärm. Die Luft war warm und schal, als würde sie von Legionen unterirdisch Reisender immer und immer wieder ein- und ausgeatmet. Ich spürte einen beißenden Geschmack auf meiner Zunge und schluckte schwer.
Jocelyn sah stumm zu, wie ich mich auf die Bank setzte. Ihr kalkiges Gesicht wirkte in dem künstlichen Licht violett, das Weiße ihrer Augen gelb.
Ich wollte etwas sagen, aber sie unterbrach mich mit einer Handbewegung.
»Ich sage das nur einmal, und dann bin ich verschwunden. Ich rede. Sie hören zu.«
Ich schwieg.
»Ich bin ein Junkie, das wissen wir beide. Ich bin außerdem eine Hure und eine Lügnerin.« Mit ruckartigen, nervösen Kopfbewegungen suchte sie die Gesichter auf dem Bahnsteig ab.
»Hier kommt der Knaller. Ich stamme aus einer stinknormalen, bürgerlich behüteten Familie, so wie Sie. Nur irgendwann habe ich mich auf eine Scheiße eingelassen, aus der ich nicht mehr herauskomme.«
Violette Schatten ließen ihre Augen tot wirken.
»In letzter Zeit bin ich schwer am Hassen. Ich hasse alles und jeden auf diesem Planeten. Vor allem aber hasse ich mich selbst.«
Sie wischte sich mit dem Handrücken ein wenig Feuchtigkeit von der Nase.
»Man merkt, dass die Zeit abgelaufen ist, wenn man nicht mehr in einen Teich schauen oder an einem Spiegel oder einem Schaufenster vorbeigehen kann, weil man das verachtet, was einem da entgegenblickt.«
Sie wandte sich mir zu, und ihre Leichenaugen brannten vor Wut und Schuldbewusstsein.
»Dass ich mit Ihnen rede, kostet mich vielleicht das Leben, aber ich will raus. Und ich will, dass diese Kerle bezahlen.«
»Was bieten Sie an?«
»Spinne Marcotte und das kleine Mädchen.«
»Ich höre zu.«
»Es war George Dorsey. Jetzt ist er tot, also ist es egal.« Sie wandte sich ab und stierte mir dann wieder ins Gesicht.
»Marcotte war die Vergeltung der Heathens, weil die Vipers die Vaillancourts in die Luft gejagt haben. George und ein Vollmitglied namens Sylvain Lecomte haben ihn umgebracht. Das Mädchen war ein Versehen.«
Sie stemmte einen Stiefel gegen ihre Tasche.
»George dachte, der Mord würde ihn in der Bande zum Star machen. Aber die Heathens haben George umgelegt, weil sie glaubten, er würde Lecomte verraten.« Sie schnaubte und reckte das Kinn in die Höhe. »Als Cherokee umgebracht wurde, wartete George ganz in der Nähe auf mich. Als die Carcajou ihn
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