Last Exit
Italiener am Steuer, erfrischte mit seinem Orbit-Kaugummi die Luft im Wagen, während Radovan und Stefan, beides kräftige Kerle, hinten
im Laderaum auf einer behelfsmäßigen Holzbank hockten und ihn anstarrten.
Die Lingua franca in diesem Kreis war Deutsch, daher sagte er: »Los.«
Giuseppe fuhr weiter.
Jeder Tourist entwickelt seine eigenen Methoden, um nicht unterzugehen: Rezitieren von Gedichten, Atemübungen, Selbstverletzung, mathematische Rätsel, Musik. Dieser Tourist hatte früher immer einen iPod bei sich gehabt, doch er hatte ihn seiner Frau als Versöhnungsgeschenk gegeben, und jetzt waren ihm nur seine musikalischen Erinnerungen geblieben. Als sie an den kahlen, knorrigen Winterbäumen und den Häusern von Seefeld vorbeirollten, dem südlichen Stadtteil am Zürichsee, summte er eine halb vergessene Melodie aus seiner Jugend in den Achtzigern und fragte sich, wie andere Touristen mit der quälenden Trennung von ihrer Familie fertig wurden. Ein blöder Gedanke: Er war der einzige Tourist mit Familie. Sie bogen um eine Ecke, und Radovan platzte mit einer knappen Aussage heraus: »Meine Mutter hat Krebs.«
Giuseppe lenkte den Wagen weiter in seiner sicheren Art, und Stefan wischte mit einem Lumpen Öl von der Beretta, die er letzte Woche in Hamburg gekauft hatte. Vom Beifahrersitz aus schielte der Mann, den sie als Mr. Winter kannten – er tourte unter dem Namen Sebastian Hall, war seiner Familie aber als Milo Weaver geläufig –, nach hinten zu dem breitschultrigen Serben, der die muskulösen, bleichen Arme über dem Bauch verschränkt hatte und die behandschuhten Fäuste gegen die Rippen drückte. »Das tut mir leid. Den anderen bestimmt auch.«
»Ich will kein Mitleid.« Radovan sprach mit starkem Belgrader Akzent. »Ich wollte es nur erwähnen, bevor wir
das machen. Ihr wisst schon, falls ich hinterher keine Gelegenheit mehr dazu habe.«
»Klar, verstanden.«
Giuseppe und Stefan murmelten beifällig.
»Ist die Krankheit behandelbar?«, fragte Milo Weaver.
Radovan, der eingeklemmt zwischen Stefan und einem Haufen leerer Leinensäcke saß, wirkte betroffen. »Es ist im Magen. Schon zu weit fortgeschritten. Ich lasse sie in Wien untersuchen, aber der Arzt kennt sich anscheinend aus.«
»Das weiß man nie.« Giuseppe bog auf eine andere baumgesäumte Straße.
»Klar«, stimmte Stefan zu und wandte sich gleich wieder seiner Waffe zu, um nichts Falsches zu sagen.
»Aber du ziehst die Sache mit uns durch?« Es war Milos Aufgabe, solche Fragen zu stellen.
»Wenn ich wütend bin, kann ich mich besser konzentrieren. «
Milo ging noch einmal die Details durch. Es war ein ziemlich einfacher Plan, dessen Gelingen weniger vom Ablauf abhing als vom Überraschungselement. Jeder kannte seine Aufgabe, aber Radovan – war damit zu rechnen, dass er seinen Frust an einem armen Museumswachmann ausließ? Immerhin hatte er eine Waffe. »Vergesst nicht, wir wollen niemanden verletzen.«
Das war allen klar, da er es im Verlauf der letzten Woche ständig wiederholt hatte. Schon bald hatten sie gespottet, dass Mr. Winter ihre Tante war, die sie aus allen Scherereien heraushalten wollte. In Wirklichkeit hatte er in den letzten knapp drei Monaten ohne fremde Hilfe eine ganze Reihe von Aufträgen erledigt, von denen sie nichts wussten. Er wollte nicht, dass ihm seine Helfer die Glückssträhne verdarben.
Das hier war der achte Auftrag. Er war erst vor kurzem zum Tourismus zurückgekehrt und konnte daher noch Buch führen; andererseits spürte er bereits eine nagende Unruhe, weil all diese Jobs so verdammt einfach gewesen waren.
Nummer vier im Dezember 2007. Die weinerliche Stimme von Owen Mendel, dem geschäfsführenden Leiter der Abteilung Tourismus, erklang aus seinem Nokia: »Fahren Sie nach Istanbul und heben Sie unter dem Namen Charles Little fünfzehntausend Euro bei der Interbank ab. Pass und Kontonummer finden Sie im Hotel. Anschließend fliegen Sie nach London und eröffnen mit dieser Summe bei der Chase Manhattan Bank im 125 London Wall ein Konto. Gleicher Name. Sorgen Sie dafür, dass der Zoll das Geld nicht entdeckt. Meinen Sie, Sie schaffen das?«
Nach dem Warum fragt man als Tourist nicht. Man glaubt einfach, dass alles einer guten Sache dient und dass die weinerliche Stimme am anderen Ende die Stimme Gottes ist.
Zweiter Auftrag im November 2007: »Eine Frau in Stockholm. Sigrid Larsson. Doppel-S. Wohnt im Grand Hotel am Blasieholmshamnen. Sie erwartet Sie. Kaufen Sie Flugtickets nach Moskau und
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