Last Exit
»Tut mir leid, aber ich möchte wissen, für wen ich arbeite. Also dann, tschüs!«
Als Milo dem Serben nachblickte, der voller Stolz zu den anderen trat, musste er daran denken, dass sie beide Glück gehabt hatten. Wenn er etwas geklaut hätte, was einen Rückschluss auf Milos wahre Identität erlaubt hätte – also nicht bloß den Pass mit dem Namen Sebastian Hall –, wäre Radovan nicht lebend aus diesem Wald herausgekommen. Und Milo war nicht unbedingt scharf darauf, heute noch jemanden zu töten.
Als die drei verschwunden waren, setzte er mit dem VW-Bus noch ein paar Meter nach hinten. Dann ging er zurück und zündete mit seinem Zippo die Sitze des Lieferwagens an, ohne die Türen zu schließen. Sich selbst zündete er eine Davidoff an und wartete, bis sich die roten Flammen ausgebreitet hatten und blau wurden, als das Armaturenbrett schmolz und das Innere mit giftigem Rauch füllte. Er drückte die Zigarette an seinem Absatz aus und warf sie in das wachsende Inferno. Dann setzte er sich in den VW und fuhr weg.
Weiter südlich auf der A2, die ihn nach Mailand führen sollte, vibrierte auf dem Beifahrersitz sein Telefon. Er musste gar nicht die Meldung UNBEKANNTER ANRUFER auf dem Display sehen, um zu wissen, wer das war.
Doch die Stimme gehörte nicht Owen Mendel. Sie
war tief, aber lebendig wie die eines gebildeten Mannes, der sich noch an seine progressive Jugend klammert. Aber der Code war unverändert.
»Stattlich und feist.«
»Erschien Buck Mulligan«, antwortete Milo. »Wer sind Sie?«
»Der Neue, wenn Sie so wollen. Alan Drummond. Und Sie sind wohl Sebastian Hall.«
»Was ist mit Mendel passiert?«
»Er war nur eine Übergangslösung, bis sie mich gefunden haben. Gehen Sie davon aus, dass ich bleibe.«
»Okay.« Milo zögerte. »Aber Sie rufen nicht bloß an, um sich vorzustellen, oder?«
»Ich bitte Sie, so was würde ich nie machen. Ich konzentriere mich aufs Wesentliche.«
»Dann kommen wir zur Sache.«
Darauf beorderte ihn Alan Drummond, seine neue Stimme Gottes, ins Hotel Hansablick in Berlin. »Dort warten Instruktionen auf Sie.«
»Sie wissen aber, dass ich hier gerade beschäftigt bin.«
»Das will ich hoffen. Dauert auch nur ein paar Tage.«
»Keine Hinweise?«
»Ich denke, die Sache erklärt sich von selbst.«
Zwei Stunden später verfrachtete er die Gemälde in einem Vorort von Lugano in eine Garage, die er vor einer Woche angemietet und mit einem Kombinationsschloss gesichert hatte. An der Decke brannte eine einzelne Leuchtstoffröhre, in deren surrealem Schein er kurz stehen blieb, um die Bilder zu betrachten. Es war eine Schande: Nach seinem unter starkem Zeitdruck entstandenen Plan sollten nur zwei von ihnen in die Welt zurückkehren. Er zündete sich eine neue Zigarette an und versuchte zu entscheiden, welche überleben sollten und welche nicht,
aber er brachte es nicht fertig. Graf Ludovic Lepic und seine zwei Töchter starrten ihn vorwurfsvoll an, als ob sie befürchteten, nie wieder bestaunt zu werden. Degas hatte sie vor fast eineinhalb Jahrhunderten mit Ölfarben unsterblich gemacht, und irgendwann war ein Großindustrieller auf sie gestoßen und hatte sie in seine Villa gehängt. Nächste Woche mussten sie oder zwei andere Bilder mit Hilfe von ein wenig Benzin und dem Feuerzeug verschwinden, als hätten sie nie existiert.
Er sperrte ab und fuhr weiter, bis die südlichen Alpen der Schweiz dem lombardischen Flachland wichen. Die Luft vor seinem Fenster war kalt und sauber, aber in der italienischen Dunkelheit waren die Gipfel hinter ihm nicht zu erkennen. Erst nach Mitternacht erreichte er die neonhellen Straßen Mailands, und auf dem Viale Papiniano wischte er den VW aus und ließ ihn stehen. Nach einer einstündigen Zugfahrt nach Bergamo stieg er in einen Shuttle-Bus zum Flughafen Orio al Serio, wo der erste Flug nach Berlin um halb neun ging. Seine Tragetasche hatte er in einer Züricher Mülltonne entsorgt, bevor er zu seinem Team stieß, daher hatte er jetzt nur dabei, was er in seinen Taschen hatte: Pillen, Davidoffs, Pass, Bargeld und EC-Karten, Handy und einen schlüssellosen Schlüsselring mit einer kleinen Fernbedienung. Er ging mit seinem Sebastian-Hall-Pass an Bord und setzte sich auf einen Platz über dem Flügel, neben einem müden Halbwüchsigen. Rasch schluckte er zwei Dexedrin, um wach zu bleiben. Als sie in der Luft waren, meldete sich der Junge: »Vacation.«
»Pardon?«
Der Italiener mit makellosem Akzent grinste. »Der Song, den Sie
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