Last Exit
miteinander fertig sind. Hier und jetzt.«
»Und Sie meinen, Sie können jetzt auch einfach zu Ihrer netten Familie zurückkehren? Zu Tina und Stephanie?«
Ein halber Meter zwischen seiner Hand und dem Hals des Senators. »So in der Richtung.«
Als hätte er tatsächlich Milos Gedanken gelesen, lehnte sich Irwin zurück. »Zwei Dinge, Milo. Erstens ist mir deswegen auch nicht wohler in meiner Haut. Warum glauben Sie, sind Sie überhaupt wieder in der Abteilung gelandet?«
»Personalmangel.«
»Personalmangel, klar. Aber Mendel war mein Mann, und ich habe persönlich dafür gesorgt, dass er Sie zurückholt. Und wieso hab ich das wohl gemacht?«
Milo widmete sich wieder seinem Drink. Diese Wendung des Gesprächs gefiel ihm nicht. »Damit Sie mich im Auge behalten können.«
»Sehr gut. Solange Mendel dran war, konnte ich jederzeit rausfinden, wo Sie gerade sind. Aber jetzt mit diesem jungen Burschen im Amt, der sich unbedingt an die Vorschriften
halten will, muss ich aus meiner eigenen Tasche für die Leute bezahlen, die Sie überwachen. Und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt.« Irwin griff in seine Tasche und zog ein fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter großes Foto heraus. Er legte es auf den feuchten Tresen. Milo vor einer Berliner Hofeinfahrt im Gespräch mit einer hübschen jungen Moldawierin. »Ich glaube, so was nennt man eine Schlüsselszene.«
Milo wäre fast vom Barhocker gekippt und konnte es gerade noch verhindern. Dann hätte er fast den Senator erwürgt. Und konnte es gerade noch verhindern.
»Ich hab ziemlich viel geblecht für diese Privatschnüffler, aber dank dem hier kann ich jetzt auf ihre Dienste verzichten.« Er förderte ein weiteres Bild zutage. »Und das ist der Gnadenstoß.«
Er hatte recht. Milo und Jewgeni Primakow unter einem Kuppelmosaik im Berliner Dom bei der Besprechung von Adriana Stanescus Zukunft. Er hatte die Beschatter nicht bemerkt – wahrscheinlich hatten sie sich unter die Augsburger gemischt, genau wie Jewgeni.
»Ihr Vater, nicht wahr?«
Milo antwortete nicht.
»Wissen Sie, bevor ich die Verantwortung für die Abteilung übernommen habe, hatte ich praktisch keine Ahnung, was sie macht. Die Grundzüge kannte ich natürlich, und manchmal habe ich auch eingegriffen, wenn ich eine Operation persönlich beaufsichtigen wollte. Ja, ja – so wie die im Sudan. Ansonsten hatte ich nur die Aufgabe, für die nötige Finanzausstattung zu sorgen, damit der Betrieb weiterläuft. Mein Unwissen war ein Schutz – für mich und für die Abteilung. Niemand schwört gern einen Meineid vor dem Kongress. Aber in den letzten Tagen habe ich Zugang zu allem erhalten. Die Daten der Abteilung Tourismus
sind wie eine Büchse der Pandora. Und bei einigen Sachen wird sogar mir mulmig. Vor allem bei dem hier.« Er wedelte mit dem Foto, bevor er es wieder einsteckte. »Ich sehe einen Mann, der mit seinem Vater redet; aber wenn ich die Akte lese, veränderte sich das Bild total. Ich erfahre, dass Sie unmittelbar darauf das Mädchen entführt und dann alles darangesetzt haben, sie nicht zu töten. Damit wird die Abfolge der Ereignisse klar, und ich ziehe den Schluss, dass Sie nicht nur Ihre Befehle nicht befolgt haben, sondern auch noch einen Ausländer – ausgerechnet einen Vertreter der Vereinten Nationen – in die Sache hineingezogen haben, um sich vor der Erfüllung Ihres Auftrags zu drücken.« Er zögerte. »Sie haben alle Einzelheiten Ihrer Anweisungen mit Ihrem Vater besprochen und ihn um Hilfe gebeten. Richtig?«
Milo schwieg immer noch.
»Ich denke, wir haben uns verstanden.« Irwin hob seinen Scotch an die Lippen.
Dem Senator war nichts von Häme anzumerken, zumindest kaum. Er wollte sich nur klar und deutlich ausdrücken. Sollte Milo je einen Versuch unternehmen, es ihm heimzuzahlen, würde ihn der Senator im Handumdrehen zu einem der gesuchtesten Verbrecher Europas stempeln. Und wenn das nicht reichte, würde er dafür sorgen, dass Milo wegen Hochverrats verhaftet wurde. In der heutigen Zeit musste sich ein Senator eben schützen. Sein Vorgehen war der Beweis, dass Nathan Irwin noch immer große Angst hatte und die Überwachung, auch wenn er das Gegenteil behauptete, fortsetzen würde, noch lange nachdem sich Milo vom Tourismus verabschiedet hatte.
28
Entgegen seinen Sorgen im Vorfeld überstand Milo die Zeit in der kahlen Zelle im neunzehnten Stock recht gut. Wegen der kurzen Zeit seiner jüngsten Tätigkeit als Tourist dauerte die Abschlussvernehmung nur fünf Tage, und
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