Last Exit
Johns Fragen fielen eher sanft aus, vor allem im Vergleich zu ihren letzten gemeinsamen Sitzungen im vergangenen Juli, als Milo mit dem Vorwurf konfrontiert worden war, Thomas Grainger ermordet zu haben. Er spürte die Aufrichtigkeit von Milos Antworten. Doch als die Erzählung auf Berlin kam, zögerte John und nahm schnuppernd die Witterung auf. Irgendetwas stimmte nicht. Er fing an, auf einzelnen Stunden herumzureiten. Sechs bis acht Uhr abends am Mittwoch, den dreizehnten. Neun Uhr morgens am Freitag. John schien verwirrt von den christlichen Gefühlen, die Milo dazu veranlasst hatten, spirituellen Beistand zu suchen, weil er nicht sicher war, ob er seinen Auftrag erfüllen konnte. Natürlich war der Verhörspezialist verwirrt, schließlich war in Milos Akte vermerkt, dass er nicht religiös war. Zuletzt machte John ihn darauf aufmerksam, dass er als Tourist verpflichtet war, der Company Rechenschaft über jede Stunde abzulegen.
»Na ja«, antwortete Milo, »es gibt wohl keinen Grund mehr, es zu verschweigen.«
»Was zu verschweigen?«
»Stefan Hassel. Ich kannte ihn von dem Bührle-Raub.
Wir haben uns getroffen, um die Entführung von Adriana Stanescu zu planen. Frag Drummond – er weiß Bescheid.«
»Die Entführung?«
»Ja.«
Später, nachdem sie sich quälend ausführlich mit seinem Aufenthalt in Erika Schwartz’ Haus und seiner anschließenden Suche nach Henry Gray befasst hatten, kam John wieder auf Stefan Hassel zurück. Milo hatte weitere Geschichten parat. Am letzten Tag wurde John richtig gesprächig. Sie hatten in den vergangenen Jahren öfter zusammengearbeitet, wenn Leute hier unten in den Zellen verhört werden mussten, trotzdem war es erstaunlich, wie kameradschaftlich er sich auf einmal gab. Milo konnte sich nur vorstellen, dass ihn Drummond oder Irwin angewiesen hatte, die Sache entspannter angehen zu lassen.
»Sie sind schon wieder alle weg.«
»Wer?«
»Die Touristen. Neue Namen, neue Legenden, neue Codes. Sogar neue Telefone. Eine echte Erleichterung. Hast du jemals die Befragungen von achtunddreißig Leuten gleichzeitig überwacht? Ziemlich stressig, das sag ich dir.«
»Kann ich mir denken.«
Dann lächelte John, was nur selten vorkam. »Na schön. Eine letzte Sache, die ich nochmal durchgehen will. Du hast mir erzählt, dass du Xin Zhu bewunderst für seinen raffinierten Plan.«
»Ja, aber nicht nur, weil das Ganze so raffiniert war. Es gibt viele clevere Leute auf der Welt. Was ich bewundere, ist die Tatsache, dass niemand einen Schaden erlitten hat, zumindest nicht direkt. Er hat nur das Ego von ein paar Leuten verletzt. Findest du das nicht auch klasse?«
»Meine Meinung ist hier unerheblich. Wir reden über dich.«
»Du möchtest wissen, ob ich ihn so bewundere, dass ich mir vorstellen könnte, in Zukunft für ihn zu arbeiten. Darauf willst du doch hinaus.«
»Nicht unbedingt. Aber … wenn wir schon dabei sind, kannst du deine Frage gleich beantworten.«
»Erst würde mich interessieren, was für eine Krankenversicherung er mir anbietet.«
»Haha, Milo. Guter Witz.«
Bevor er am Montag das Gebäude verlassen durfte, setzte er sich in einer verschlossenen Kammer neben einen Apparat auf einem Tisch. Das Ding sah aus wie eine alte Nähmaschine, doch John versicherte ihm, dass es sich um etwas Magnetisches handelte. Er schwenkte es nach außen, bis es hart gegen Milos linke Schulter drückte, und tippte auf einer Tastatur an der Rückseite einen Code ein. Kein Geräusch, keine Bewegung, nichts, woraus Milo entnehmen konnte, dass das Gerät auch nur angeschlossen war. Kurz darauf schob John es zurück und meinte: »Glückwunsch, der Sender ist tot.« Am Aufzug schüttelte er Milo die Hand. »Normalerweise würde ich sagen, lass dich mal blicken, aber in dem Fall rate ich eher ab.« Erst im Lift wurde Milo klar, was diese merkwürdige Äußerung zu bedeuten hatte, als ihm der Türsteher mitteilte, dass er ab jetzt nicht mehr befugt war, diesen Aufzug zu betreten.
Milo wünschte Gloria Martinez alles Glück der Welt, bevor er hinaus auf den belebten Gehsteig trat. Er hatte alle Sachen zurückbekommen, die er bei seiner Ankunft vor drei Monaten hatte abgeben müssen: Schlüssel, Telefon und eine Brieftasche mit vierundfünfzig Dollar. Dazu seinen iPod. Keinen Führerschein, keinen Pass, keine
Kreditkarten – alle Dokumente auf den Namen Milo Weaver befanden sich in seiner Wohnung in Newark.
Aber er fuhr nicht nach New Jersey. Stattdessen nahm er die Linie F zur Station
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