Last Exit
Hause.«
»Weil du nicht da bist? Vielleicht. Die Beraterin meint, das ist normal in geschiedenen Familien.«
»Wir sind nicht geschieden.«
»Vielleicht ist es auch was anderes. Sie hatte öfter Alpträume. «
»Oh.«
Tina nickte in Richtung Straße. »Hast du von der Kleinen in Deutschland gehört? Adriana Sowieso? Entführungen
sind ja nicht so ungewöhlich, aber sie bringen es ständig in den Nachrichten. Letzte Nacht hatte sie wieder einen Alptraum. Dass sie entführt wird.«
Milos Hunger nach Dexedrin steigerte sich schlagartig.
»Aber sie wird schon drüber wegkommen. Vor allem, weil sie jetzt das olympische Fieber gepackt hat.« Ihr Blick ruhte auf der Straße. »Sie haben in der Schule darüber geredet, über die alten Griechen und Peking. Stef ist ganz wild aufs Speerwerfen – malt sich alles Mögliche aus. Dana Pounds ist ihre große Heldin.«
»Dana Pounds?«
»Eine amerikanische Speerwerferin. Stef fiebert schon ihren nächsten Wettbewerben entgegen.« Sie grinste. »Patrick droht ständig damit, dass er uns mitnimmt.«
»Nach Peking?« Er erschrak über die Vorstellung.
»Sagt er zumindest.« Achselzuckend ging sie in eine Kurve. »Aber du kennst ihn ja. Wenn er vor mir steht, tut er alles für mich. Aber wenn er die Tür hinter sich zumacht, ist sie wirklich zu.«
Er blieb stumm, um nichts Unüberlegtes zu sagen und seinen Schrecken in den Griff zu bekommen. Sicher war Patrick, Stephanies leiblicher Vater, alles andere als ein ideales Vorbild. Doch Milo konnte auf keinen Fall mit ihr zu den Olympischen Spielen fahren. Patrick war ihre einzige Chance. Und was war mit den Chinesen? Dem Maulwurf? Laut Zubenko wussten sie von Milo Weavers Familie und konnten sie mühelos aus einer Menge von Tausenden herauspicken, auch wenn das noch lange nicht hieß, dass sie in Gefahr waren. Familien waren in ihrem Gewerbe neutrales Gebiet. »Hoffentlich hält er sein Versprechen«, erklärte er schließlich. »Das wäre ein einmaliges Erlebnis für sie, das sie nie vergessen würde. Und du
genauso wenig. Nimm ihn beim Wort, lass dich beim Büffeln von Mandarin erwischen.«
Sie lachte. »Mach ich vielleicht wirklich.«
»Jewgeni hat erzählt, er hat euch ein paarmal besucht. Ist das in Ordnung für dich?«
Sie nickte. »Ich glaube, er kommt nur, um Stef zu sehen. Er ist ganz verrückt nach ihr. Er meint, sie erinnert ihn an seine Töchter. Zumindest als sie noch klein waren.«
»Und du? Wie findest du ihn?«
»Er ist sehr … europäisch , oder?«
»Wahrscheinlich.«
»Und er steht zu dir. Erinnert mich an Tom, findet immer Entschuldigungen für deine Fehler.«
Er kratzte sich an einer juckenden Stelle am Hinterkopf. Irgendwie schien sie das Gespräch in eine unangenehme Richtung zu lenken. »Muss er das?«
»Manchmal schon. Manchmal hab ich eine Stinkwut auf dich.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich möchte jetzt nicht wieder mit dem alten Streit anfangen, okay?«
»Okay.«
»Das haben wir alles längst durchgekaut.« Sie klang, als wollte sie nichts lieber, als wieder damit anfangen. »Manchmal bin ich noch sauer, aber nicht, weil ich es nicht verstehe. Ich hab’s kapiert. Du hast es Dr. Ray genau erklärt. Du hast dein ganzes Leben mit dieser geheimen Seite verbracht und bist nie auf die Idee gekommen, mich ins Vertrauen zu ziehen.«
»Ja«, krächzte er. »So in der Richtung.«
»Und das ist genau das Problem.«
Weil er nicht begriff, erklärte sie es. »Du hast dich nicht bewusst entschieden, das Ganze zu verheimlichen; was anderes ist dir einfach nie in den Sinn gekommen.« Sie
holte tief Luft. »Und das macht alles noch schlimmer. Das bedeutet nämlich, dass es eine unausrottbare Gewohnheit ist. Du wirst dich nicht ändern.«
»Menschen können sich ändern. Das hat Dr. Ray gesagt, erinnerst du dich?«
»Bevor du plötzlich beschlossen hast, in den Außendienst zurückzukehren, ohne mich auch nur zu fragen? Oder bevor sie dich ermahnt hat, weil du unsere Sitzungen nicht ernst genug nimmst?«
Plötzlich kam ihm diese transatlantische Stippvisite wie ein großer Fehler vor. Es schien, als würde sie nach Gründen für ihre ablehnende Haltung gegen ihn suchen und sie aus allen Fakten herausfiltern, die ihr begegneten. Aber eigentlich verstand Milo sie noch immer nicht. »Brauchst du mehr Zeit?«
»Zeit wofür?« Sie wandte sich kurz zu ihm. »Du arbeitest jetzt wieder in Europa. Wenn wir es mit der Ehe nochmal probieren wollen, was soll das dann überhaupt für eine Ehe sein? Du
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