Last Exit
Hause zurückkehrt. Und weißt du, was ich zu Jewgeni gesagt habe? Wenn du damit aufhörst, durch die Welt zu stromern, wenn du endlich wieder den Namen benutzt, der dir nach deiner Geburt gegeben wurde, dann kannst du wieder zu mir kommen. Hat er dir das erzählt?«
»Nein«, bekannte Milo.
»Aber er hätte es dir erzählen sollen. Dann hättest du dir diese Reise sparen können.«
12
Sie bremste vor der U-Bahn-Station an der Franklin Avenue in Brooklyn, von der aus er nach Howard Beach fahren und den AirTrain zum Flughafen JFK nehmen konnte. Eine ganze Minute lang saß er im lastenden Schweigen des Abschieds da. Er hasste Jewgeni dafür, dass er ihm eine unrealistische Hoffnung eingeflößt hatte, eine Hoffnung, an die sich nur ein Verzweifelter klammern konnte.
Vielleicht aus Mitgefühl zupfte ihn Tina am Ärmel. »Komm her.« Sie zog ihn an sich und küsste ihn fest auf den Mund. Sie schmeckte nach Kaugummi. Auch wenn es nur Mitleid war, es war besser als nichts. Einen Moment lang verharrten sie so, dann löste sie sich von ihm. »Ich meine es ernst. Bring dein Leben in Ordnung und komm nach Hause. Dann bin ich bereit, es zu versuchen. Aber hier , verstehst du? Nicht in einem anderen Land unter falschem Namen. Und wir müssen dafür arbeiten , zusammen mit Dr. Ray.«
»Ich verstehe.«
»Das hoffe ich, Mister.«
Er grinste. Sie hatte ihm einen Ausweg gezeigt. »Richte Stef liebe Grüße aus.«
»Bist du sicher?«
»Vielleicht hast du recht. Ich richte sie ihr selber aus, wenn ich länger als ein paar Stunden bleiben kann.«
Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen, dann fuhr Tina plötzlich hoch. »Ach, das wollte ich dir noch geben.« Sie öffnete das Handschuhfach und fischte den iPod heraus, den er ihr vor einigen Monaten geschenkt hatte. Dazu Ohrhörer und einen Adapter für den Zigarettenanzünder.
»Nein, er gehört dir.«
»Bitte«, drängte sie. »Ich benutze das Ding sowieso nie, und vor ein paar Wochen ist er mir runtergefallen. War kaputt. Pat hat ihn repariert, aber … deine ganze Musik ist gelöscht.«
»Nachdem ihn Pat angefasst hat?«
»Haha. Er hat ihn wieder aufgefüllt, bevor er ihn mir zurückgegeben hat, aber ich höre einfach nicht damit. Also, nimm ihn bitte zurück. Er hat Zeug aus den Siebzigern draufgespielt – gefällt dir wahrscheinlich. Außerdem kann ich mir gar nicht vorstellen, dass du ohne das Ding in der Welt herumziehst.«
Er wog das kleine Gerät in der Hand. »Danke, das freut mich wirklich. Und bleib am Ball mit den Olympischen Spielen. Je mehr ich drüber nachdenke, desto besser finde ich die Idee. Sag Pat, er soll die Karten besorgen, bevor sie ausverkauft sind.«
»Mach ich.« Sie ließ sich noch einmal küssen. Als er draußen auf dem nassen Gehsteig stand, ließ sie das Fenster herunter. »Noch was.«
»Ja?«
»Hör mit dem Rauchen auf, bitte. Du schmeckst wie ein Aschenbecher.« Zwinkernd schloss sie das Fenster und fuhr davon.
Er stieg in einen langsamen Zug, weil er Zeit hatte. In der kühlen Wolke seiner Hoffnung – der Hoffnung, die sie ihm gemacht hatte – hatte er es überhaupt nicht eilig.
Im Leben gab es immer wieder Chancen, auch für Hornochsen wie ihn. Er hatte vor, mit seinem Touristen-Pass einen Flug nach Europa zu nehmen. Wenn er Glück hatte, wurde er von Drummond überwacht, und der außerplanmäßige Besuch bei seiner Frau würde seinen Chef so in Rage versetzen, dass er ihn fristlos entließ.
Das würde natürlich Adriana Stanescus Position bei seinem Vater schwächen, aber das war ihm im Moment gleichgültig. Er hatte den Mangel an Empathie zurückerlangt, der einem Touristen irgendwann in Fleisch und Blut übergeht.
Vielleicht war er morgen schon ein freier Mann, wer konnte es sagen?
Beim Umsteigen in Howard Beach schenkte er seine restlichen Davidoffs einem Bettler, und am JFK erwarb er mit der Kreditkarte auf den Namen Sebastian Hall ein Flugticket nach Paris. Er stellte sich in die Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Gehetzte Reisende vor und hinter ihm stöhnten, als sie aus den Schuhen schlüpfen, Notebooks auspacken und den Gürtel aufschnallen mussten. Milo folgte ihrem Beispiel, allerdings ohne Gepäck.
Weiter vorn, auf der linken Seite, hing an einer breiten Säule ein Fernseher, in dem CNN lief. Eine nächtliche Stadtszenerie: Aus einem vertraut wirkenden Gebäude quoll Rauch. Er las die vorbeiziehende Schrift am unteren Bildrand. Es war die US-Botschaft in Belgrad am Vorabend. Demonstranten hatten sie
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